DER BETRIEB
Brexit und Gesellschaftsrecht

Brexit und Gesellschaftsrecht

Prof. Dr. Christian Kersting, LL.M. (Yale)

Prof. Dr. Christian Kersting, LL.M. (Yale)
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Das Vereinigte Königreich verlässt die EU. Diese Entscheidung wird das politische und wirtschaftliche Leben in Europa entscheidend verändern. Selbstverständlich zieht sie auch eine Vielzahl von rechtlichen Folgefragen nach sich, die in den nun folgenden Austrittsverhandlungen zu klären sein werden. Aber auch jenseits des rechtlichen Vollzugs des Austritts sind die Auswirkungen des Brexit auf das europäische Recht erheblich. Generell wird das common law für das europäische Rechtsdenken und die europäische Rechtsentwicklung in Zukunft eine deutlich geringere Rolle spielen, wenn dieses nicht mehr mit dem Gewicht Großbritanniens eingebracht wird. Irische Juristen werden nicht den gleichen Einfluss ausüben können. Einige werden sich über einen hierdurch zunehmenden Einfluss kontinentaleuropäischen Rechtsdenkens und auch des deutschen Rechts freuen. Man wird jedoch auch bedenken müssen, dass Europa der über Großbritannien vermittelte Bezug zum Recht Indiens, Australiens, Kanadas und auch zum Recht der USA verloren gehen könnte.

Auswirkungen auf das Gesellschaftsrecht

Die Auswirkungen der britischen Entscheidung, die EU zu verlassen, werden selbstverständlich auch das Gesellschaftsrecht betreffen, weil das common law auch dort in Zukunft eine weniger prominente Rolle spielen wird. Es bleibt abzuwarten, was dies für die gegenwärtigen Gesetzgebungsvorhaben im Gesellschaftsrecht – man denke nur an die Aktionärsrechterichtlinie und die SUP – bedeuten wird. Unmittelbar betroffen sind Europäische Aktiengesellschaften (SE) mit Sitz in Großbritannien, denen ihre rechtliche Grundlage verloren zu gehen droht. Ebenfalls direkt betroffen sind die in einer Rechtsform englischen Rechts betriebenen Unternehmen, die sich mit dem Wirksamwerden des Austritts nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) berufen können.

Die Auswirkungen können erheblich sein: In einer Reihe von Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit, die vielfach englische Gesellschaften betrafen, arbeitete der EuGH die Verpflichtung der Mitgliedstaaten heraus, EU-Auslandsgesellschaften als solche anzuerkennen und als Gesellschaften ihres Heimatrechts zu behandeln. Eine englische Limited ist daher in Deutschland auch dann als Gesellschaft englischen Rechts anzuerkennen, wenn ihr Verwaltungssitz in Deutschland liegt und sie – von der Registereintragung in England abgesehen – keinen Bezug zu England aufweist. Der Fall Überseering (EuGH vom 05.11.2002 – Rs. C-208/00, DB 2002 S. 2425) war insofern der Ausgangspunkt für den Siegeszug der Gründungstheorie und führte zu einem erheblichen Popularitätsgewinn der Limited, welche in der Folge in großem Umfang auch von deutschen Gründern für im Wesentlichen deutsche Unternehmungen und Geschäftsideen genutzt wurde. Dies betraf kleine Unternehmen, welche die Aufbringung des Mindestkapitals für eine deutsche GmbH scheuten, und große Unternehmen, die die deutsche Mitbestimmung vermeiden wollten.

Anwendung der Sitztheorie außerhalb des Geltungsbereichs der Niederlassungsfreiheit

Verlässt Großbritannien nun die EU, so können sich diese Gesellschaften nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Den verbliebenen Mitgliedstaaten eröffnet sich so wieder die Möglichkeit, auf die Sitztheorie zurückzugreifen und im Fall von englischen Auslandsgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz ihr eigenes Gesellschaftsrecht zur Anwendung zu bringen. Im deutschen Recht würde dies zu einer Umqualifizierung scheinausländischer KapGes. in deutsche PersGes. führen und die persönliche Haftung der Gesellschafter nach sich ziehen (BGH vom 01.07.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151 S. 204 = DB 2002 S. 2039).

Dass dies ein reales Szenario ist, zeigt das Beispiel der Schweiz: Der BGH hat in dem die Schweiz betreffenden Urteil Trabrennbahn deutlich gemacht, dass die Sitztheorie gegenüber Drittstaaten, deren Gesellschaften sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, weiter zur Anwendung kommt (BGH vom 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178 S. 192 = DB 2008 S. 2825). Er hat dabei die Entscheidung der Schweiz, der EU nicht beizutreten und auch das EWR-Abkommen nicht zu ratifizieren, als bewusste Entscheidung gegen die Niederlassungsfreiheit verstanden, die zu respektieren sei. Nichts anderes wird für die Entscheidung des Vereinigten Königreiches, die EU zu verlassen, gelten können.

Wechsel der Rechtsform

Unternehmen in einer Rechtsform des englischen Rechts, die ihren tatsächlichen Sitz, ihren Verwaltungssitz, in Deutschland haben, werden daher über einen Wechsel der Rechtsform nachdenken müssen. Dies wird viele kleine Unternehmen betreffen, die als Limited betrieben werden. Aber auch Unternehmen wie die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG werden entweder eine deutsche Komplementärin benötigen, was dann die Rückkehr der Mitbestimmung bedeuten würde, oder sicherstellen müssen, dass die englische Komplementärin auch tatsächlich in England verwaltet wird. Letztlich wird die Notwendigkeit solcher Maßnahmen davon abhängen, wie das Verhältnis des Vereinigten Königreiches zur EU in Zukunft ausgestaltet sein wird. Angesichts der Gründe für den Austritt erscheint es jedoch keineswegs als selbstverständlich, dass in den Verhandlungen über den Austritt die Fortgeltung der Niederlassungsfreiheit, die ja in beide Richtungen wirken und auch EU-Gesellschaften berechtigen würde, vereinbart werden wird.