DER BETRIEB
Der Anwendungserlass zu § 153 AO ist da – Wichtiger Schritt zur Entkriminalisierung im Steuerrecht

Der Anwendungserlass zu § 153 AO ist da – Wichtiger Schritt zur Entkriminalisierung im Steuerrecht

StB Fritz Esterer

StB Fritz Esterer
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Mit dem Anwendungserlass zu § 153 AO greift die Finanzverwaltung endlich ein Thema auf, das in den letzten Jahren in hohem Maß zu Unsicherheit bei Unternehmen geführt hat, die steuerliche Fehler nachträglich korrigieren mussten.

Kriminalisierung des Steuerrechts

Die kontinuierliche Verschärfung der Selbstanzeige empfinden viele Unternehmen als eine Kriminalisierung des Steuerrechts. Vielfach kommt es zu einem faktischen Ausschluss der Selbstanzeige, da die Voraussetzungen, wie z.B. die Vollständigkeit der Korrekturen, in der Regel nicht umsetzbar sind. Hierfür sorgt neben den ständig steigenden Anforderungen des Steuerrechts schon die Komplexität der Unternehmensprozesse.

Parallel führt die verschärfte Anwendung der Bußgeldvorschriften für Organisations- und Kontrollpflichtverletzungen dazu, dass sich nicht nur die Unternehmensleitung, sondern auch die Unternehmen selbst immer höheren Risiken ausgesetzt sehen, wenn Steuerstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten nicht unmittelbar zu einer Sanktionierung von Einzelpersonen führen. Seit einigen Jahren ist eine „Taktik“ der Behörden zu beobachten, bei steuerlichen Ermittlungen keine Zuordnung von Verstößen zu einzelnen Personen vorzunehmen, sondern steuerliches Fehlverhalten auf eine unzureichende Organisation und Kontrolle im Unternehmen zurückzuführen. Damit wird durch die Hintertür eine Art „besonderes“ Unternehmenssteuerstrafrecht eingeführt.

Jede Steuererklärung, die aufgrund inhaltlicher Fehler zu einer Minderabführung von Steuern führt, ist objektiv eine Steuerverkürzung. Ob diese strafbar ist, entscheidet sich allein im subjektiven Bereich, d.h. bei der Frage, ob die Steuerverkürzung (bedingt) vorsätzlich oder leichtfertig war. Dabei wird nicht selten die Höhe der Korrektur als erstes Indiz dafür gesehen, ob eine Prüfung aus steuerstrafrechtlicher Sicht notwendig ist.

Innerhalb der Finanzverwaltung sind die Bußgeld- und Strafsachenstellen (BuStra) zuständig. Veranlagungsbeamte und Betriebsprüfer müssen diese bereits unterrichten, wenn lediglich die Möglichkeit der Durchführung eines Strafverfahrens besteht. Die (materielle) Hürde dafür ist sehr niedrig und wird im Fall einer Berichtigung nicht nur bei Großunternehmen regelmäßig überschritten. In Kombination mit dem sehr weit auslegbaren Organisationsverschulden ist die BuStra heute nahezu ein ständiger Begleiter im Besteuerungsverfahren.

Klare Abgrenzung

Mit dem Anwendungserlass zu § 153 AO versucht die Finanzverwaltung, sowohl für die Unternehmen als auch für die Verwaltung konkrete Orientierungspunkte dafür zu schaffen, wann von einer einfachen Berichtigung nach § 153 AO ausgegangen werden kann. In Ziff. 2.6 wird erstmals klargestellt, dass das Vorhandensein von klaren steuerlichen Prozessen und wirksamen Kontrollen im Unternehmen für die steuerstrafrechtliche Beurteilung von ganz erheblicher Bedeutung ist. Dies wirkt sich mittelbar auch auf die bußgeldrechtlichen Risiken aus. Soweit keine Steuerordnungswidrigkeit vorliegt, sondern „nur“ eine Korrektur nach § 153 AO, ist kein Raum für eine bußgeldrechtliche Ahndung nach §§ 30, 130 OWiG.

Tax Compliance Management System als Antwort

Einem steuerlichen innerbetrieblichen Kontrollsystem wird bei der Beurteilung der Frage, ob ein vorsätzliches bzw. leichtfertiges Handeln vorliegt, Indizienwirkung beigemessen. Genauere Vorgaben für die Ausgestaltung des innerbetrieblichen Kontrollsystems macht das BMF hingegen nicht.

Damit bleibt es dem Stpfl. überlassen, durch Organisations- und Kontrollmaßnahmen sicherzustellen, dass sämtliche steuerliche Erklärungen nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig sind und nachträglich erkannte Fehler unverzüglich angezeigt und korrigiert werden. Ist ein solches Tax Compliance Management System (Tax CMS) vorhanden, ist das Unternehmen gut beraten, dessen Angemessenheit bzw. Wirksamkeit durch StB oder WP dokumentieren und zertifizieren zu lassen. Auch hierzu werden keine Vorgaben gemacht. Nur bedingt geeignet erscheint der allgemeine IDW-Standard PS 980 zu Compliance Management Systemen, da die Prüfung an die spezifischen steuerlichen Erfordernisse eines Tax CMS angepasst werden muss. Für die Unternehmensleitung bedeutet dies, dass die steuerliche Prozesssicherheit immer wichtiger wird. Relevant sind nicht nur die Prozesse innerhalb der Steuerabteilung, sondern auch das Schnittstellenmanagement in Bezug auf die aus steuerlicher Sicht fehleranfälligen Vorprozesse.

Neben der Dokumentation und Prüfung eines Tax CMS und dessen laufender Weiterentwicklung und Verbesserung wird es für Unternehmen zunehmend bedeutsam, im Verhältnis zur Finanzverwaltung einen „positiven track record“ zu etablieren. Dem Unternehmen muss es also nachweislich gelingen, durch Prozessverbesserungen Anzahl und Umfang steuerlicher Korrekturen kontinuierlich deutlich zu reduzieren. International ist es in der Besteuerungspraxis einiger Länder bereits üblich, Unternehmen in Risikokategorien einzuordnen und die Prüfungshäufigkeit und -intensität an der Qualität der internen Prozesse auszurichten. Entsprechende Ansätze sind auch bei der deutschen Finanzverwaltung erkennbar. Unternehmen mit einem hochwertigen und geprüften Tax CMS können in Zukunft darauf hoffen, doppelt zu profitieren – von geringen steuerlichen Risiken und einer zeitnahen und schlanken Betriebsprüfung.