Bundesarbeitsgericht
Bundesarbeitsgericht Urt. v. 21.03.2017, Az.: 7 AZR 369/15
Klagefrist beim Befristungskontrollantrag; Gerichtlicher Vergleich als Rechtsgrundlage für eine wirksame Vertragsbefristung; Verantwortliche Mitwirkung des Gerichts bei einem Vergleich über eine Befristungsabrede; Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs im deutschen Befristungsrecht; Würdigung der Gesamtumstände bei der Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs durch die Gerichte; Dreistufiges Prüfungssystem bei Befristungsabreden nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs

Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 21.03.2017, Az.: 7 AZR 369/15

Klagefrist beim Befristungskontrollantrag; Gerichtlicher Vergleich als Rechtsgrundlage für eine wirksame Vertragsbefristung; Verantwortliche Mitwirkung des Gerichts bei einem Vergleich über eine Befristungsabrede; Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs im deutschen Befristungsrecht; Würdigung der Gesamtumstände bei der Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs durch die Gerichte; Dreistufiges Prüfungssystem bei Befristungsabreden nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs

Redaktioneller Leitsatz

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats wahrt auch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit die Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG (BAG 28.09.2016 - 7 AZR 549/14 - Rn. 9; 02.06.2010 - 7 AZR 136/09 - Rn. 13, BAGE 134, 339).

2. Voraussetzung für den Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG ist die Vereinbarung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses in einem gerichtlichen Vergleich, soweit die Parteien darin zur Beendigung eines Kündigungsschutzverfahrens oder eines sonstigen Feststellungsrechtsstreits über den Fortbestand oder die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eine Einigung erzielen (vgl. BAG 08.06.2016 - 7 AZR 339/14 - Rn. 14; 14.01.2015 - 7 AZR 2/14 - Rn. 23; 12.11.2014 - 7 AZR 891/12 - Rn. 13, BAGE 150, 8; 15.02.2012 - 7 AZR 734/10 - Rn. 13, BAGE 140, 368 [BAG 15.02.2012 - 7 AZR 734/10]). Der gerichtliche Vergleich, mit dem die Parteien zur Beilegung einer derartigen Rechtsstreitigkeit ein befristetes oder auflösend bedingtes Arbeitsverhältnis vereinbaren, unterliegt keiner weiteren Befristungskontrolle. Deren Funktion erfüllt das Arbeitsgericht durch seine ordnungsgemäße Mitwirkung beim Zustandekommen des Vergleichs. Dem Gericht als Grundrechtsverpflichteten i.S.d. Art. 1 Abs. 3 GG obliegt im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle die Aufgabe, den Arbeitnehmer vor einem grundlosen Verlust seines Arbeitsplatzes zu bewahren und damit einen angemessenen Ausgleich der wechselseitigen, grundrechtsgeschützten Interessen der Arbeitsvertragsparteien zu finden. Diese aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Schutzpflicht erfüllt das Gericht nicht nur durch ein Urteil, sondern auch im Rahmen der gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits. Schlägt das Arbeitsgericht zur Beendigung des Verfahrens über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses einen Vergleich vor, der eine weitere, allerdings zeitlich begrenzte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vorsieht, bietet das im Regelfall eine hinreichende Gewähr dafür, dass diese Befristung nicht deswegen gewählt worden ist, um dem Arbeitnehmer grundlos den gesetzlichen Bestandsschutz zu nehmen (vgl. BAG 08.06.2016 - 7 AZR 339/14 - Rn. 15; 14.01.2015 - 7 AZR 2/14 - Rn. 24; 15.02.2012 - 7 AZR 734/10 - Rn. 13, a.a.O.; 23.11.2006 - 6 AZR 394/06 - Rn. 55, BAGE 120, 251).

3. Nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 ZPO wird ein Vergleich dadurch geschlossen, dass die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Durch den Vergleichsvorschlag wirkt das Gericht am Inhalt des Vergleichs verantwortlich mit (vgl. BAG 08.06.2016 - 7 AZR 467/14 - Rn. 23; 14.01.2015 - 7 AZR 2/14 - Rn. 28; 15.02.2012 - 7 AZR 734/10 - Rn. 25, BAGE 140, 368; 23.11.2006 - 6 AZR 394/06 - Rn. 55 f., BAGE 120, 251 [BAG 23.11.2006 - 6 AZR 394/06]). Wird der Vergleich hingegen nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO dadurch geschlossen, dass die Parteien dem Gericht einen übereinstimmenden schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten, fehlt es in der Regel an der erforderlichen verantwortlichen Mitwirkung des Gerichts (BAG 08.06.2016 - 7 AZR 467/14 - Rn. 23; 14.01.2015 - 7 AZR 2/14 - Rn. 26; 15.02.2012 - 7 AZR 734/10 - Rn. 19, a.a.O.). Bei einem solchen Vergleich ist der gerichtliche Beitrag - abgesehen von der Prüfung von Verstößen gegen Strafgesetze und gegen §§ 134, 138 BGB - regelmäßig auf eine Feststellungsfunktion beschränkt (vgl. BAG 08.06.2016 - 7 AZR 467/14 - Rn. 23; 14.01.2015 - 7 AZR 2/14 - Rn. 28; 15.02.2012 - 7 AZR 734/10 - Rn. 25, a.a.O.). Ein nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO zustande gekommener Vergleich genügt nur ausnahmsweise den Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG, wenn das Gericht den Vergleich selbst vorgeschlagen hat (vgl. BAG 08.06.2016 - 7 AZR 339/14 - Rn. 24). Diese Differenzierung ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG. Dieser unterscheidet nicht zwischen den beiden Alternativen des § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO. Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG erweist sich jedoch insoweit unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift als unergiebig, da es die in § 278 Abs. 6 ZPO getroffene Regelung bei Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes am 01.01.2001 noch nicht gab. Bis Ende des Jahres 2001 musste ein den Prozess beendender Vergleich vor Gericht abgeschlossen und nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, § 162 ZPO protokolliert werden. Aus der Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 TzBfG (BT-Drs. 14/4374 S. 19) ergibt sich allerdings, dass der Gesetzgeber den gerichtlichen Vergleich deshalb als Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsvertrags anerkannt hat, weil das Gericht die Möglichkeit und die Obliegenheit hat, beim Abschluss des Vergleichs darauf hinzuwirken, dass bei dessen Inhalt - auch unter Berücksichtigung der Prozessaussichten in dem beigelegten Rechtsstreit - die Schutzinteressen des Arbeitnehmers berücksichtigt werden.

4. Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen (vgl. EuGH 21.09.2016 - C-614/15 - [Popescu] Rn. 44 f., 66; 14.09.2016 - C-16/15 - [Pérez López] Rn. 31; 26.11.2014 - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 77, 102; 03.07.2014 - C-362/13 ua. - [Fiamingo ua.] Rn. 62, 72; 26.01.2012 - C-586/10 - [Kücük] Rn. 40). Die Beachtung von § 5 Nr. 1 Buchst. a der EGB-UNICE-CEEPRahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 verlangt, dass konkret geprüft wird, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse der Deckung eines zeitweiligen Bedarfs dient und ob eine nationale Vorschrift nicht in Wirklichkeit genutzt wird, um einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken. Hierzu sind stets alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen und dabei namentlich die Zahl der mit derselben Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen, um auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zurückgreifen, mögen diese auch angeblich zur Deckung eines Vertretungsbedarfs geschlossen worden sein (EuGH 21.09.2016 - C-614/15 - [Popescu] Rn. 65 f.; 26.11.2014 - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 101 f.; 26.01.2012 - C-586/10 - [Kücük] Rn. 39 f., 43, 51, 55). Die dazu gebotene zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen (vgl. BAG 26.10.2016 - 7 AZR 135/15 - Rn. 23; 07.10.2015 - 7 AZR 944/13 - Rn. 14; 29.04.2015 - 7 AZR 310/13 - Rn. 24; 12.11.2014 - 7 AZR 891/12 - Rn. 27, BAGE 150, 8; grundlegend: BAG 18.07.2012 - 7 AZR 443/09 - Rn. 38, BAGE 142, 308 und - 7 AZR 783/10 - Rn. 33).

5. Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen kann an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft werden. Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sachgrundbefristung und erleichtert damit den Abschluss von befristeten Verträgen bis zu der festgelegten Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit. Sie kennzeichnet den nach Auffassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Daher besteht bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrunds kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind (vgl. hierzu etwa BAG 24.08.2016 - 7 AZR 41/15 - Rn. 31 f.; 11.02.2015 - 7 AZR 113/13 - Rn. 31; 11.02.2015 - 7 AZR 17/13 - Rn. 46, BAGE 150, 366; 14.01.2015 - 7 AZR 2/14 - Rn. 47; 06.11.2013 - 7 AZR 96/12 - Rn. 35; 10.07.2013 - 7 AZR 833/11 - Rn. 25; 16.01.2013 - 7 AZR 661/11 - Rn. 25, BAGE 144, 193; 10.10.2012 - 7 AZR 462/11 - Rn. 31; 18.07.2012 - 7 AZR 783/10 - Rn. 44). Davon ist auszugehen, wenn nicht mindestens das Vierfache eines der in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG bestimmten Werte oder das Dreifache beider Werte überschritten ist. Liegt ein Sachgrund vor, kann also von der Befristung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden, es sei denn, die Gesamtdauer übersteigt bereits acht Jahre oder es wurden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart (BAG 26.10.2016 - 7 AZR 135/15 - Rn. 26).

In Sachen

Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,

pp.

Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2017 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Rennpferdt, den Richter am Bundesarbeitsgericht Waskow sowie die ehrenamtlichen Richter Auhuber und Kley für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Februar 2015 - 3 Sa 318/13 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 31. Dezember 2012 geendet hat.

2

Die Klägerin war in der Zeit vom 1. August 2000 bis zum 26. Mai 2012 mit mehreren Unterbrechungen auf der Grundlage der folgenden befristeten