DER BETRIEB
Verfassungswidrigkeit der quotalen „§ 8c KStG-Verlustabzugssperre“ – Erste Folgerungen für Gesetzgebung/Praxis

Verfassungswidrigkeit der quotalen „§ 8c KStG-Verlustabzugssperre“ – Erste Folgerungen für Gesetzgebung/Praxis

WP/StB Prof. Dr. Ulrich Prinz

WP/StB Prof. Dr. Ulrich Prinz
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In einem konkreten Normenkontrollverfahren hat der Zweite Senat des BVerfG in seinem Beschluss vom 29.03.2017 (2 BvL 6/11, DB 2017 S. 1124) die Versagung des Verlustabzugs bei qualifiziertem Gesellschafterwechsel bei KapGes. als mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) für unvereinbar erklärt. Die Steuercommunity wird diesen unüberhörbaren und überraschend deutlichen „Paukenschlag aus Karlsruhe“ als Ergebnis des Vorlagebeschlusses des FG Hamburg vom 04.04.2011 – also nach fast sechs Jahren – im Zusammenhang mit „verlustnutzenden Mantelkäufen“ nun erst einmal auswerten und einordnen müssen (50 Textseiten mit 167 Rdn.). Von der Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG sind im Kern nur „schädliche Beteiligungserwerbe“ an einer verlustnutzenden KapGes. von mehr als 25% bis 50% der Anteile innerhalb einer Fünf-Jahres-Periode mit anteiligem Wegfall des Verlustabzugs betroffen. Dies gilt für die Zeit ab ihrer Einführung durch das UntStRG 2008 zum 01.01.2008 bis zu ihrer Fassung 31.12.2015. Die diversen Bemühungen des Gesetzgebers zur „§ 8c-Entschärfung“ mittels stiller Reservenklausel, Sanierungsklausel und Konzernklausel haben an der Unvereinbarkeit des § 8c (Abs. 1) Satz 1 KStG mit Art. 3 GG nichts geändert. Es fehlt nach Meinung des BVerfG an einem sachlich einleuchtenden Grund für die Ungleichbehandlung von KapGes. bei der Verlustnutzung mit und ohne schädlichen Beteiligungserwerb. Dem BVerfG reicht dafür bereits der „Maßstab des Willkürverbots“ aus. Der Gesetzgeber hat mit seinem Anknüpfungsmerkmal „schädliche Beteiligungserwerbe“ ungeachtet seines an sich weitreichenden Entscheidungsspielraums die Grenzen der Typisierungsbefugnis überschritten.

Bedeutung des BVerfG-Beschlusses für den Gesetzgeber

Gem. Ls. 2 des Beschlusses wird der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.12.2018 den festgestellten Verfassungsverstoß rückwirkend für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.12.2015 zu beseitigen. Der Steuergesetzgeber hat also einschließlich Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres noch rund eineinhalb Jahre Zeit zum Handeln. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, wird § 8c (Abs. 1) Satz 1 KStG rückwirkend nichtig. Das BVerfG scheint insoweit wegen der Wirren um den letzten ErbSt-Beschluss um Eindeutigkeit bemüht. Daraus folgt zunächst zweierlei: Ausdrücklich nicht von der Unvereinbarkeit/Nichtigkeit betroffen ist die Zeit ab Einführung des § 8d KStG (fortführungsgebundener Verlustvortrag). Ob § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG mit seit dem 01.01.2016 reduziertem Anwendungsbereich nunmehr den Art. 3 GG-Anforderungen genügt, „bedarf gesonderter Betrachtung“. Dessen Verfassungskonformität ist damit keineswegs abgesichert. Eine bloße Erstreckung des § 8d KStG auf die Zeit ab 01.01.2008 halte ich daher für keine gute Idee, zumal es an praktischen Erfahrungen damit bislang fehlt und Zweifel an dessen Funktionsfähigkeit bestehen. Zum zweiten erstreckt sich die Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG nicht auf die volle Verlustversagung bei schädlichem Beteiligungserwerb von mehr als 50% der Anteile. Eine Änderung der „wirtschaftlichen Identität“ einer KapGes. liegt bei § 8c (Abs. 1) Satz 2 KStG näher als bei dem beurteilten Satz 1. Dessen ungeachtet sollte der Gesetzgeber § 8c KStG insgesamt rückwirkend umgestalten, sofern er sich aus Fiskalgründen nicht zu seiner teilweisen/vollständigen Aufhebung entschließen kann. Das BVerfG gibt zur Konturierung einer Neuregelung lediglich „Fingerzeige“ auf ausländische Rechtsvorbilder (Rz. 135/136), die an eine missbrauchsgeleitete substanzielle Änderung der Unternehmenstätigkeit anknüpfen, ggf. gepaart mit einem qualifizierten Gesellschafterwechsel. Auch muss der Gesetzgeber mitbedenken, dass sich die Unvereinbarkeitswirkungen des § 8c KStG auch auf bestimmte gewerbesteuerliche Verlustabzüge und Zinsvorträge bei KapGes. und diesen nachgeordneten PersGes. erstrecken. Die gerade im Gesetzgebungsverfahren als Reaktion auf die Große Senats-Rspr. des BFH befindlichen neuen Sanierungsregelungen (§§ 3a, 3c EStG, § 7b GewStG-E) sind zumindest mittelbar berührt, weil sich der Umfang der nutzbaren Verluste verändern kann. Auch aktive Steuerlatenzen im Handelsbilanzrecht können berührt sein. Man sieht: Durch den BVerfG-Beschluss zu § 8c KStG ist eine neue „Großbaustelle“ für den Steuergesetzgeber entstanden, der sich nicht nur von den als bedrohlich empfundenen Steuerausfällen leiten lassen sollte.

Besteuerungspraktische Folgerungen für betroffene Unternehmen

Die in der Vergangenheit von § 8c KStG betroffenen verlustführenden Unternehmen sollten schnellstmöglich eine Bestandsaufnahme ihrer Situation nach dem BVerfG-Beschluss machen. Klar ist: Im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit dürfen Gerichte/Verwaltungsbehörden die Norm nicht mehr anwenden; laufende Verfahren sind auszusetzen. § 165 Abs. 1 Nr. 2 AO verlangt zumindest einen Vorläufigkeitsvermerk. Komplexer dürfte es in Sanierungsfällen werden, sofern z.B. für verbindliche Auskünfte von einer partiellen Verlustzerstörung gem. § 8c KStG ausgegangen wurde, die nunmehr zweifelhaft ist. Schließlich sind auch Änderungen bereits bestandskräftiger Bescheide unter § 8c-Aspekten zu prüfen. Hoffentlich dauert die nun eingeleitete Phase der Rechtsunsicherheit nicht zu lange. Finanzverwaltung und Unternehmen sollten gemeinsam nach „klugen Lösungswegen“ suchen.