DER BETRIEB
Gesetzliche Verankerung der ertragsteuerlichen Freistellung von sog. Sanierungsgewinnen

Gesetzliche Verankerung der ertragsteuerlichen Freistellung von sog. Sanierungsgewinnen

Univ.-Prof. Dr. Roman Seer

Univ.-Prof. Dr. Roman Seer
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Der Große Senat des BFH hat mit seinem Beschluss vom 28.11.2016 (GrS 1/15, RS1228847) dem sog. Sanierungserlass des BMF vom 27.03.2003 (BStBl. I 2003 S. 240 = DB 2003 S. 796) die gesetzliche Grundlage abgesprochen (zur Anwendbarkeit vgl. BMF vom 27.04.2017, DB 2017 S. 996, in diesem Heft). Das Gericht erkennt sogar einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3 GG, § 85 AO) und vermisst in den Fällen eines im Zuge einer Unternehmenssanierung durch Forderungsverzicht der Gläubiger entstehenden Sanierungsgewinns einen Billigkeitsgrund, der zur abweichenden Steuerfestsetzung i.S. des § 163 AO berechtigt (s. Rz. 90 ff. der Entscheidungsgründe). Es ist bemerkenswert, dass der BFH dagegen in anderen, im Ausgangspunkt fiskalisch begründeten Bereichen keinerlei Skrupel besitzt, tradierte Rechtsfiguren über Jahrzehnte aufrecht zu erhalten und diese sogar – ohne nach der gesetzlichen Grundlage zu fragen – noch auszubauen. Als Beispiele sind die „Betriebsaufspaltung“ und das „Sonderbetriebsvermögen II“ zu nennen.

Forderungsverzicht ermöglicht erst künftig die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ (wieder) zu entwickeln

Dagegen bricht der BFH – m.E. ohne Not – hier mit einer auf einer Rspr. des RFH zurückführbaren, fast hundertjährigen Rechtstradition (zur historischen Entwicklung s. Seer, FR 2014 S. 722 [724 ff.]). Diese war sehr wohl begründet. Steuerliche Leistungsfähigkeit i.S. eines „ability-to-pay-principle“ zeigt sich nämlich nicht schon in einem durch den Forderungsverzicht entstehenden Buchgewinn und der bloßen Vermeidung einer Insolvenz. Vielmehr wird durch den Forderungsverzicht überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, in der Zukunft „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ (wieder) zu entwickeln. In dieser besonderen Situation liegt die vom Großen Senat kategorisch negierte Atypizität eines Buchgewinns durch Forderungsverzicht der Fremdgläubiger. Typischerweise verzichtet eben kein Fremdgläubiger auf seine berechtigte Forderung. Dies geschieht nur, weil diese praktisch wertlos und der Schuldner gerade nicht wirtschaftlich leistungsfähig ist. Entgegen der Vorstellung des Großen Senats kann es daher als ein „gesetzesverstehender Dispens“ i.S. der §§ 163, 222, 227 AO verstanden werden, wenn die Finanzbehörde den mit dem Forderungsverzicht entstehenden Buchgewinn ihrerseits nicht zum Anlass einer Besteuerung nimmt, die den Neustart des noch nicht wieder leistungsfähigen Unternehmens gefährdet. Dem steht auch die Abschaffung des bis 1997 gegoltenen § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht entgegen, die einer Doppelberücksichtigung des vortragsfähigen Alt-Verlustvortrags bei vollständiger Steuerfreistellung des Sanierungsgewinns begegnen sollte. Gerade dieses Doppelberücksichtigungsverbot achtete das BMF-Schreiben vom 27.03.2003 (a.a.O.).

Gesetzliche Regelung in Sicht, aber unter Beihilfevorbehalt

Diese vom Belastungsgrund der ESt, KSt und GewSt gebotene Zurückhaltung des Steuerstaats muss nun der parlamentarische Gesetzgeber sicherstellen. Dazu ist er offenbar auch gewillt. Die Bundesländer haben im Wege der Stellungnahme des Bundesrats vom 10.03.2017 (BR-Drucks. 59/17 [B]) zum Entwurf eines „Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ (BT-Drucks. 18/11233 vom 20.02.2017 – „Lizenzschrankengesetz“) eine Ergänzung des Gesetzentwurfs um eine Steuerbegünstigung von Sanierungsgewinnen (§ 3a EStG-E, § 3a GewStG-E) vorgeschlagen. Die erst nach Verrechnung mit Altverlusten eintretende und damit nicht mit dem früheren § 3 Nr. 66 EStG identische Steuerbefreiung soll auf alle offenen Fälle (§ 52 Abs. 4a EStG-E) und damit rückwirkend anwendbar sein. Außerdem soll ein Feststellungsverfahren gewährleisten, dass der durch die staatlichen FÄ festgestellte begünstigte Sanierungsgewinn auch für gewerbesteuerliche Zwecke der Gemeinden verbindlich ist (zu dem Problem zuletzt z.B. Krumm, DB 2015 S. 2714). Nach Mitteilung der FAZ vom 25.04.2017 (S. 18), hat sich die Koalition am Gründonnerstag darauf geeinigt, diesen Weg mitzugehen. Der Finanzausschuss hat dieses Vorhaben am 26.04.2017 (vgl. hib Nr. 271 vom 26.04.2017) und der Bundestag am 27.04.2017 in 2. und 3. Lesung beschlossen. Der Bundesrat hat auch die EU-beihilferechtlichen Risiken (s. zur Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG die Verfahren vor dem EuGH: Rs. C-209/16 und Rs. C-219/16) erkannt und will dem durch eine Notifizierung der Neuregelung bei der EU-Kommission vorbeugen. Deshalb bindet Art. 3 des Entwurfs den Zeitpunkt des (rückwirkenden) Inkrafttretens der Regelung an die beihilferechtliche Genehmigung der EU-Kommission. Damit entsteht zwar eine Phase der Rechtsunsicherheit. Diese können aber Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat den Beteiligten selbst dann nicht ersparen, wenn es gelingt, die Regelung noch vor dem Ende der 18. Legislaturperiode zu verabschieden und in das BGBl. zu bringen. Der individuelle (und volkswirtschaftliche) Schaden wäre deutlich größer, wenn Bund und Länder die Augen vor dem Beihilferecht verschließen und erst nach einigen Jahren in einem Vertragsverletzungsverfahren sich die Freistellung des Sanierungsgewinns rückwirkend als unionsrechtswidrig entpuppte. Sollte die gesetzgeberische Initiative auch zur beihilfenrechtlichen Genehmigung der Freistellung des Sanierungsgewinns in absehbarer Zeit führen, hätte der Große Senat mit seinem provozierenden Beschluss vom 28.11.2016 sogar einiges bewirkt!