DER BETRIEB
Kein Aprilscherz – die AÜG-Reform gilt

Kein Aprilscherz – die AÜG-Reform gilt

RAin Dr. Sandra Urban-Crell

RAin Dr. Sandra Urban-Crell
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Jetzt ist es amtlich: Am 01.04.2017 ist das letzte große Reformprojekt von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in dieser Legislaturperiode, das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze – besser bekannt als AÜG-Reform –, in Kraft getreten. Das Ergebnis: Überregulierung statt Rechtssicherheit, mehr Bürokratie für Unternehmen, ein Bärendienst für Leiharbeitnehmer und en passant wird auch noch der (Privat-)Wirtschaft die Herkulesaufgabe zugewiesen, Fremdpersonaleinsätze auf Werk- oder Dienstvertragsbasis eindeutig von der Arbeitnehmerüberlassung abzugrenzen. Misslingt dies, drohen harte Sanktionen. In der Praxis ist dies häufig eine unlösbare Herausforderung, bedenkt man, dass sich selbst Gerichte und Behörden in Abgrenzungsfragen immer wieder uneins sind. Wenige Tage nach Inkrafttreten der AÜG-Reform ist deshalb bereits ein neuer Trend auszumachen: die Flucht in die „vorsorgliche Arbeitnehmerüberlassung“. Ist das gewollt?

Zurück zur (Über-)Regulierung der Leih- und Zeitarbeit

Wohl kaum. Denn erklärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, die „Beschäftigung in den Stammbelegschaften zu stärken“ und Leiharbeit weiter zurückzudrängen. Dazu mag das in den politischen Diskussionen immer wieder formulierte Kernanliegen der AÜG-Reform, die Rechte von Leiharbeitskräften zu schützen und zu stärken, nicht so recht passen. Der Spagat zwischen Stärkung von Stammbelegschaften einerseits und Leiharbeitnehmerschutz andererseits ist sicher schwierig. Letzteres jedenfalls dürfte misslungen sein.

Auf dem Papier klingen die Wiedereinführung einer Überlassungshöchstdauer – ein der Zeitarbeitsbranche bis zu den Hartz-Reformen Anfang der 2000er wohl bekanntes Regulierungsinstrument – und der von Gewerkschaftsseiten seit Jahren geforderte Anspruch auf zwingendes Equal Pay gut. „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ gibt es frühestens ab dem 10. Einsatzmonat bzw. bei Branchenzuschlagstarifverträgen ab dem 16. Monat. Praktisch wird sich die Situation vieler Leiharbeitnehmer dennoch nicht verbessern. Im Gegenteil: Ihr „rechtzeitiger“ Austausch gegen eine andere Leiharbeitskraft vor Erreichen des 10./16. Monats ist vorprogrammiert – und damit wirtschaftliche Einbußen. Auf eine Einsatzhöchstdauer kommt es dann nicht mehr an.

Den entleihenden Unternehmen mag ein solch rollierender Leiharbeitnehmereinsatz als unsozial vorgeworfen werden. Er ist aber – ungeachtet aller wirtschaftlichen Zwänge – aus ganz anderen Gründen nachvollziehbar. Es mangelt an Rechtssicherheit bei Anwendung und Auslegung des neuen AÜG: Was sind „Monate“ bei der Berechnung von Überlassungszeiten für Höchstdauer und Equal Pay? Was alles fällt unter den trotz scharfer Kritik im Gesetzgebungsverfahren gesetzlich nicht definierten Begriff des Equal Pay? Welche Stammarbeitnehmer gelten als „vergleichbar“? Hier wären mehr Mut des Gesetzgebers und mehr Vertrauen in die Kompetenz der Tarifparteien der Zeitarbeitsbranche angebracht gewesen. Allein mit einer widerlegbaren Vermutung der Gewährung von Equal Pay bei Zahlung des Entleiher-Tariflohns ist der Praxis nicht gedient.

Die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zum neuen AÜG vom 20.03.2017 (abrufbar unter XQ1232603) beantworten sicher einige der aufgeworfenen Fragen: „Monate“ sind Kalendermonate, Teilmonate werden mit 30 Tagen angesetzt. Equal Pay wird im Sinne der bisherigen Rspr. des BAG ausgelegt. Die Zeit wird zeigen, ob sich Gerichte und Behörden an die Interpretation der BA halten werden – verbindlich sind Weisungen der BA für die Gerichte bekanntlich nicht.

Zweifelhaftes Missbrauchsdogma

Eine ganz andere Frage stellt sich infolge der AÜG-Reform für Unternehmen, wenn es um Fremdpersonaleinsätze auf Werk- und Dienstvertragsbasis geht: Der Rettungsschirm der Vorratserlaubnis trägt nicht mehr. Das ist unzweifelhaft in den Fällen richtig, in denen ein Einsatz unter bewusster Umgehung des AÜG erfolgt. Die Regel ist dies aber nicht. Zumeist trifft man in der Praxis auf Fälle von „gut gemeint und schlecht gemacht“ oder moderne Zusammenarbeitsformen wie im agilen IT-Umfeld (z.B. Scrum) oder im Interimsbereich, die mit den tradierten Abgrenzungskriterien zur Arbeitnehmerüberlassung nur schwer in Einklang zu bringen sind.

Für Unternehmen ist das eine schwierige Situation. Die Rechtsunsicherheit der richtigen Abgrenzung zwingt sie in die vorsorgliche Arbeitnehmerüberlassung – ein Vertragstypus, der gerade beim Einsatz hochqualifizierter, spezialisierter und gut bezahlter (freier) Mitarbeiter (etwa in der IT-Branche, der Automobilindustrie oder im Medizinbereich) vielfach völlig ungeeignet ist. Das Problem ist dabei keineswegs nur die neue gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Das Problem sind die Fachkräfte selbst; nur die Wenigsten sind überhaupt bereit, sich – sei es bei dem Auftraggeber direkt oder bei einem Personaldienstleister – fest anstellen zu lassen. Bestraft werden dafür allein die Unternehmen. Eine Tatsache, die der Gesetzgeber bei der Reform des AÜG aus dem Blick gelassen hat.

Fazit

Die AÜG-Reform ist seit wenigen Tagen in Kraft und kaum jemanden hört man sagen: „Endlich”. Selbst Ministerin Nahles scheint nicht wirklich zufrieden, sie spricht von einer „Zerhäckselung“ ihres Gesetzesvorhabens. Noch schlimmer trifft es viele Unternehmen, die sich nun im Tagesgeschäft mit den neuen Herausforderungen beim Fremdpersonaleinsatz auseinandersetzen müssen – ganz zu schweigen von den Leiharbeitnehmern, die um ihre Einsätze bangen.

Wenn alle Seiten unzufrieden sind, spricht dies an sich für einen ausgewogenen, durchdachten Kompromiss. Leider trifft dies auf die AÜG-Reform nicht zwingend zu.