DER BETRIEB
Wie viel Rechtssicherheit schafft die Reform der Insolvenzanfechtung?

Wie viel Rechtssicherheit schafft die Reform der Insolvenzanfechtung?

RA Dr. Christoph Niering

RA Dr. Christoph Niering
hbfm_db_2017_11_m5_a_1232152_a001.png

Kaum ein insolvenzrechtliches Thema wurde in den letzten Jahren so intensiv und medienwirksam diskutiert wie die Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts. Schon im Koalitionsvertrag wurde 2013 vereinbart, das Anfechtungsrecht im Hinblick auf mehr Rechtssicherheit und zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte auf den Prüfstand zu stellen. Sehr schnell wurde deutlich, dass mit der Überprüfung letztendlich eine Entschärfung des Anfechtungsrechts beabsichtigt war. Nicht die Stärkung der Sanierungsfunktion in der InsO, sondern die Privilegierung einzelner Gläubigergruppen stand im Vordergrund. Neben Mittelstand und Gewerkschaften setzten sich nun auch der Fiskus sowie die Sozialversicherungsträger vehement für eine Einschränkung der insolvenzrechtlichen Anfechtung ein. Einige der Protagonisten schreckten nicht davor zurück, die bisherige Rechtslage als grds. existenzgefährdend für die Anfechtungsgegner zu dramatisieren. Das vermeintliche Drama fand seinen Weg in die Printmedien und ins Fernsehen. Die Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 24.02.2016 zeigte diese Gefechtslage in der z.T. hitzig geführten Diskussion. Insb. die Frage eines Privilegs für den Fiskus und die Sozialversicherungsträger als sog. Selbsttitulierer hat allerdings auch die vehementen Befürworter einer Reform davon überzeugt, dass mit den geforderten Privilegien das Kind mit dem Bade ausgeschüttet würde.

Rechtssicherheit und Arbeitnehmerrechte

Über dieser Diskussion kam es zu einem längeren Stillstand des Reformvorhabens. Nahezu überraschend und plötzlich war dann im Februar 2017 die Forderung der Finanzpolitiker und Sozialversicherungsträger vom Tisch, die eigenen Forderungen u.a. durch eine Änderung des § 131 InsO zu privilegieren. Damit war der Weg für eine Gesetzesänderung frei. Übrig geblieben ist letztendlich eine überschaubare Reform, die den Sanierungsansatz der InsO nicht gänzlich in Frage stellt. Ob sie mehr Rechtssicherheit schafft und die Rechte der Arbeitnehmer stärkt, ist mehr als fraglich.

Änderungen haben vor allem die Regelungen zur Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO, aber auch der Ausnahmetatbestand des Bargeschäftsprivilegs in § 142 InsO erfahren. In Fällen, in denen durch eine Rechtshandlung eine Sicherung oder Befriedigung gewährt wurde, verkürzt sich die Anfechtungsfrist in § 133 InsO von bisher 10 auf nunmehr 4 Jahre. Bei kongruenten Deckungen, also bei vertragsgemäßen Leistungen, wird die bisher nur drohende Zahlungsunfähigkeit zukünftig für die Durchsetzung des Anfechtungsanspruches nicht mehr genügen. Bei der Vereinbarung von Zahlungserleichterungen soll eine Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit widerleglich vermutet werden. Dies erhöht zukünftig die Vortragslast für den Insolvenzverwalter. Auch bei dem Ausnahmetatbestand zur Anfechtung, dem sog. Bargeschäftsprivileg gem. § 142 InsO, spiegelt sich die Absicht des Gesetzgebers wider, die Vertragspartner des Insolvenzschuldners im üblichen Geschäftsverkehr stärker zu schützen.

Die Anfechtung von Zahlungen, für die unmittelbar und gleichwertige Gegenleistungen erfolgt sind, ist nur noch ausnahmsweise dann möglich, wenn die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung vorliegen und der Gläubiger erkannt hat, dass der Schuldner unlauter gehandelt hat. Besonders klargestellt wird dies in § 142 Abs. 2 InsO für Entgeltzahlungen an Arbeitnehmer. Sie gelten als unmittelbar, wenn sie innerhalb von drei Monaten nach Leistungserbringung gezahlt werden. Dies gilt auch für Drittzahlungen, die insbesondere in Konzernsachverhalten denkbar sind. Schließlich wurde die Gesetzesreform durch die Ergänzung des § 143 InsO um eine Zinsregelung abgerundet. Bisher war nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung der Anfechtungsanspruch ab dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verzinsen. Zukünftig setzt die Verzinsung des Rückgewähranspruchs in Anlehnung an § 286 BGB den Verzug des Anfechtungsgegners voraus. Die Änderung in § 143 InsO findet über § 103 Abs. 2 EGInsO auch für alle laufenden Insolvenzverfahren Anwendung. Im Übrigen gelten die gesetzlichen Änderungen erst für die nach Inkrafttreten eröffneten Insolvenzverfahren.

Höchstrichterliche Rechtsprechung ist gefragt

Die Rechte der Arbeitnehmer waren bereits durch die st. Rspr. des BAG ausreichend geschützt. Nunmehr werden in § 142 Abs. 2 Satz 2 InsO mit dem sog. Bargeschäftsprivileg alle Arbeitnehmer und damit auch Spitzenverdiener vor Anfechtungsansprüchen geschützt. Hier wurde die Chance verpasst, durch einen Bezug auf die Beitragsbemessungsgrenze der Sozialversicherung unbillige Verwerfungen zugunsten von Spitzengehältern zu vermeiden. Die Regelungen zum Insolvenzgeld zeigen, dass eine solche Begrenzung möglich und sinnvoll ist. Auch die Rechtssicherheit dürfte durch die Änderung des Anfechtungsrechtes mit Begriffen wie „Zahlungserleichterung“ in § 133 InsO und den „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ in § 142 InsO nicht gerade gestärkt werden. Ganz im Gegenteil wird es in Zukunft eine Welle von Rechtsstreitigkeiten bis hin zum BGH geben, mit denen man versucht, die unbestimmten Rechtsbegriffe der jetzigen Reform einer richterlichen Klärung zuzuführen.

Es wird sich zeigen, ob der Gesetzentwurf tatsächlich die Erwartungen seiner Protagonisten erfüllen wird. Eines wurde jedoch deutlich: Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ist und bleibt der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Insolvenzverfahrens. Es ist richtig, ihn auch gegenüber starken Einzelinteressen zu verteidigen.