DER BETRIEB
Digitalisierung und Bilanzierung

Digitalisierung und Bilanzierung

WP/StB/CPA Dr. Rüdiger Loitz

WP/StB/CPA Dr. Rüdiger Loitz
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Kehrt man einen Augenblick dem Hype der Digitalisierungsveröffentlichungen den „Rücken“ zu, so stellt sich die Frage, wie dieser Hype in der retrospektiven Welt der Rechnungslegung überhaupt abgebildet wird. Denn die aktuellen Trends, die letztlich die Rechnungslegung selbst (neudeutsch:) disruptieren sollen und wollen, müssen am Ende des Tages doch wieder in die Bücher der Realität aufgenommen werden.

Digitalisierung als immaterieller Vermögenswert?

Sieht man sich Data Analytics, künstliche Intelligenz und Blockchain an, kommt man zu dem Schluss, dass dies aus Sicht der Rechnungslegung zuvorderst einfach Software ist; Programme also, die ggf. als immaterielle Vermögenswerte in der Bilanz zu aktivieren sind. Der Standardsetter geht mit den Rechnungslegungsvorschriften wie mit einem Ackerpflug durch die neuen Technologien und trennt die Spreu vom Weizen, Aktivierung oder Aufwand. Die Digitalisierung hat sich gefälligst an die guten alten Kriterien zu halten, die darüber bestimmen, ob die neuen Technologien stolz in der Bilanz präsentiert werden dürfen oder sofort als Aufwand in dem betreffenden Jahr ausgespuckt werden. Die internationalen Bilanzierungsvorschriften des IAS 38 braten keine Extrawürste für die Digitalisierung – abgesehen von Websites in SIC 32 – und unterscheiden unaufgeregt nach Forschungs- und Entwicklungskosten für die Software. Ein System der künstlichen Intelligenz, das etwa intelligent Verträge lesen kann, muss sich auch danach richten.

Der Standard schreibt unprätentiös von Computer Software, sowohl in der deutschen als auch der englischen Fassung. Sie wird analog zu anderen Rechten behandelt. Die Bilanzierung strukturiert sich nach Ansatz, Bewertung und Ausweis. Der Ansatz von Software, heute eher Apps, KI, Blockchain etc. genannt, richtet sich nach der Identifizierbarkeit. IAS 38 schreibt vor, dass die Errungenschaften der neuen digitalisierten Welt separat verkauft, übertragen, lizenziert oder anderweitig verwertbar sein müssen oder aus vertraglichen oder anderen gesetzlichen Rechten entstehen. Nur dann dürfen die Aufwendungen angesetzt werden. Zudem müssen sie einen wirtschaftlichen Nutzen erzielen, in der Verfügungsmacht des Unternehmens liegen und last but not least ihre Kosten zuverlässig ermittelbar sein. Bereits die erste Hürde der Identifizierbarkeit fällt schwer, da die neuen Ansätze ganz häufig gesamte Geschäftsmodelle auf den Kopf drehen oder neue Geschäftsmodelle erst begründen. Der nächste Schritt der Bewertung wirft weitere Fragen auf. Zunächst müssen die Kosten für die Softwareentwicklung identifiziert werden. Im Verhältnis zu den gesamten Aufwendungen sind die Kosten erworbener Lizenzen oder von Inhouse-Programmierungen sehr gering. Die in- und externen Kosten für die Implementierung und Reorganisation der damit verbundenen neuen Geschäftsmodelle übersteigen die Softwareentwicklungskosten regelmäßig um ein Vielfaches. Die Aufwendungen dürfen nur durch Aktivierung und Abschreibung künftigen Erlösen gegenübergestellt werden, wenn sie dazu dienen, den eigentlichen immateriellen Vermögenswert in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Die Praxis muss sich daher damit befassen, was ein betriebsbereiter Zustand für die neuen Technologien ist.

Herausforderungen für Ansatz und Bewertung

Neuere Konzepte der Softwareentwicklung stellen die Bilanzierer vor Herausforderungen. Ein „agiles“ Vorgehen sieht im Kern vor, das Ergebnis nicht von Anfang an festzulegen, sondern die Bestimmung der Inhalte der Software während des Projektverlaufs festzulegen. Es kann sogar vorkommen, dass ein Projekt in der Weiterentwicklung immer neu adjustiert wird und über Jahre nicht zum Ende kommt. Nach dem Zeitpunkt der Fertigstellung sieht der Standard nur in Ausnahmefällen vor, dass weitere Aufwendungen aktiviert werden dürfen. Meist dienen die Ausgaben bei immateriellen Vermögenswerten dem Erhalt des ursprünglich erwarteten wirtschaftlichen Nutzens. Wenn z.B. Programmierarbeiten der Fehlerbehebung dienen, handelt es sich um Erhaltungsaufwand. Werden allerdings Programmierungsarbeiten (intern oder extern) zur Erweiterung der Funktionalität der Software führen, dann wären sie zu aktivieren. Allerdings ist auf den künftigen Nutzen dieser speziellen Erweiterung zu achten. In einem freien Fluß der Entwicklung von Software wird sowohl die Bestimmung des Fertigstellungszeitpunkts, als auch die Nutzenbestimmung zunehmend eine Herausforderung.

Software unterliegt in der heutigen Welt einem ständigen Wandel. Ob Software aktuell ist oder nicht, ob sie in den nächsten Monaten verkauft oder genutzt werden kann, ändert sich täglich. Bei der Einschätzung wird man Spezialisten hinzuziehen müssen. KI lebt geradezu davon, individuell, nicht standardisiert zu sein, dies macht sie eben dem Menschen ähnlicher. Nach dem danach greifenden Anschaffungskostenverfahren wird die Software planmäßig abgeschrieben. Eine Einschätzung über die Dauer der Abschreibung wird nicht einfach zu treffen sein.

Dem eingangs genannten Schema der Bilanzierung folgend fehlen noch der Ausweis und die Darstellung der digitalen Errungenschaften im Abschluss. Im Anhang der bilanzierenden Unternehmen befinden sich derzeit zu Software, soweit sie überhaupt bilanziert ist, nur rudimentäre Angaben. Der Standard fordert Erläuterungen und gibt Angaben vor, die vor dem Hintergrund des zunehmenden Stellenwerts von Software im digitalen Zeitalter, ihrer Bedeutung entsprechen würden. Die hohen Ausgaben für den digitalen Wandel, wie sie in der Presse stehen, werden viele Unternehmen künftig nicht einfach über die GuV laufen lassen wollen. Neue Regeln für die Digitalisierung sind vielleicht nicht notwendig, die bisherigen tun es auch, aber die Lastenverteilung in IAS 38 wird von den explizit genannten „Fischereirechten“ weiter zu anderen Rechten gehen, die in der neuen Welt so kräftig diskutiert werden. Die IFRS als ein Rahmenwerk werden von dem Digitalisierungstrend massiv auf die Probe gestellt.