DER BETRIEB
Reformimpulse aus Brüssel für das deutsche Insolvenzrecht

Reformimpulse aus Brüssel für das deutsche Insolvenzrecht

Prof. Dr. Stephan Madaus

Prof. Dr. Stephan Madaus
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Die EU-Kommission hat am 22.11.2016 einen Richtlinienvorschlag für eine erste Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts (COM(2016) 723 final) vorgelegt. Thematisch folgt der Richtlinienvorschlag weitgehend den Kernpunkten der Empfehlung der Kommission vom 12.03.2014 (vorinsolvenzliche Sanierung, Restschuldbefreiung). Eine zunächst diskutierte Harmonisierung des Anfechtungsrechts und der Eröffnungsgründe findet sich nicht im Vorschlag. Eine Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie würde für das deutsche Insolvenz- und Restrukturierungsrecht dennoch eine beachtliche Reihe von Neuerungen mit sich bringen.

Das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren wird kommen – auch in Deutschland

Die bedeutendste Neuerung ist sicher ein vorbeugender Restrukturierungsrahmen (preventive restructuring framework), der es Schuldnern in der Krise ermöglicht, im Wege der Schuldenrestrukturierung eine „Insolvenz zu vermeiden“ (Art. 4 Abs. 1). Erwägungsgrund 17 stellt hierzu eindeutig klar, dass diese Hilfe vor einer Insolvenz zur Verfügung stehen und eine Zugangsprüfung nicht erfordern soll. Ein denkbarer Missbrauch des Restrukturierungsrahmens durch solvente oder auch nicht sanierungsfähige Schuldner soll allein durch die beteiligten Gläubiger und allein dadurch verhindert werden, dass diese dem Plan nicht zustimmen. Dieser flexible Ansatz ist dem deutschen Recht in prozessualer Hinsicht zwar noch fremd, folgt aber mit seiner Betonung der Gläubigerhoheit in vorinsolvenzlichen Sanierungen einem Grundprinzip, das dem deutschen Insolvenzrecht eigen ist. Um die Gläubiger von der Notlage, aber auch der Sanierungsfähigkeit zu überzeugen, muss der Schuldner im Plan finanzielle Schwierigkeiten aufzeigen, die eine Insolvenzwahrscheinlichkeit beinhalten und mit dem Plan bewältigt werden. Eine gerichtliche Kontrolle dieser Punkte kann nachgelagert erfolgen (Erwägungsgrund 18).

Betrachtet man diese Vorgaben, so ist klar, dass das deutsche Schutzschirmverfahren, welches ein Planverfahren erst im eröffneten Insolvenzverfahren erlaubt, diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Die Richtlinienumsetzung würde dennoch keine Rückkehr zu den Zeiten der Vergleichsordnung bedeuten. Im Gegenteil! Das neue Verfahren sieht nur eine minimale Gerichtsbeteiligung am Ende der Verhandlungen über einen Sanierungsplan vor, die allein der Gewährleistung des Minderheitenschutzes für überstimmte Gläubiger dient. Auch muss der Plan nicht alle Gläubiger einbeziehen und keine Mindestquoten vorsehen. Die Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Gesellschafterrechte wird von der Kommission empfohlen und gewünscht, im Detail aber nicht beschrieben (Art. 12). Ein neues vorinsolvenzliches Sanierungsinstrument könnte insofern eher dem Gesellschafts- oder Schuldrecht zuzuordnen sein als dem Insolvenzrecht. Ein individueller oder gar allgemeiner Vollstreckungsstopp wird mit dem Verfahren allenfalls auf Antrag und nur unter strengen Voraussetzungen und für kurze Zeit zu erreichen sein (vgl. Art. 6, 7).

Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auf maximal drei Jahre

Die zweite wesentliche Neuerung für das deutsche Insolvenzrecht folgt aus Art. 20, der verlangt, einem überschuldeten Unternehmer eine Restschuldbefreiung binnen dreier Jahre beginnend ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu eröffnen, ohne dass dies nach Ablauf der Frist nochmals zu beschließen wäre. Eine längere Frist soll nur bei pflichtwidrig handelnden Schuldnern möglich sein. Die Entschuldung soll dabei auch private Schulden umfassen (Art. 23), wobei den Mitgliedstaaten ausdrücklich empfohlen wird, die schnelle Restschuldbefreiung auch Verbrauchern zukommen zu lassen (COM(2016) 723 final, S. 21). Eine Umsetzung dieser Vorgaben würde das deutsche Restschuldbefreiungsverfahren in seinen Grundzügen verändern, was durchaus zu begrüßen wäre (s. Madaus, JZ 2016 S. 548 [552 ff.]).

Qualitätsstandards für Richter und Insolvenzpraktiker

Ähnlich einschneidend könnte die Umsetzung der Qualitätssicherungsstandards für Richter, v.a. aber für „Praktiker im Bereich der Restrukturierung, Insolvenz und Restschuldbefreiung“ (Art. 24-28) die heutige Praxis verändern. Insb. die gewünschte Einführung von Aufsichtsstrukturen für diese Praktiker dürfte die Diskussion um ein besonderes Berufsrecht für Insolvenzverwalter, Schuldner- und Unternehmensberater neu entfachen. Zu klären wäre auch, ob die gegenwärtige Verbandsstruktur die Richtlinienvorgaben hinreichend erfüllt oder aber eine staatliche Behörde hinzutreten müsste.

Hinweispflichten für StB, Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger

Art. 3 des Richtlinienvorschlags zielt auf die Etablierung von Frühwarnmechanismen ab, die gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung stehen sollen. Erwägungsgrund 16 erwähnt insofern Buchführungs- und Monitoringpflichten für Geschäftsführer, aber auch Hinweispflichten für StB, Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger. Letzteres würde sicher einen Kulturwechsel in Finanzbehörden und Krankenkassen bedeuten und nur Relevanz entfalten, wenn dem alarmierten Schuldner dann auch ein günstiger Zugang zu einer Schuldenregulierung offensteht. Hinweispflichten wären also um Beratungskonzepte zu ergänzen.