DER BETRIEB
„Durchbruch“ bei der Reform des ErbStG

„Durchbruch“ bei der Reform des ErbStG

Dr. Thomas Wachter

Dr. Thomas Wachter
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Nach monatelangem Streit über die Reform des ErbStG hat man sich schließlich doch noch geeinigt. In der Nacht zum 22.09.2016 haben die Mitglieder des Vermittlungsausschusses nach mehr als siebenstündigen Verhandlungen endlich einen Kompromiss gefunden (BT-Drucks. 18/8960). Am Ende hat wohl vor allem die Sorge vor der Vollstreckungsanordnung des BVerfG den Druck auf alle Beteiligten nochmals deutlich erhöht. Die Politiker wollten in jedem Fall vermeiden, dass das BVerfG als „Ersatzgesetzgeber“ tätig wird. Die Zustimmung von Bundestag (vermutlich am 29.09.2016) und Bundesrat (wohl am 14.10.2016) gilt als sicher. Das „Gesetz zur Anpassung des ErbStG an die Rechtsprechung des BVerfG“ kann dann – grds. rückwirkend zum 01.07.2016 – in Kraft treten. Damit findet ein fast zwei Jahre dauerndes Gesetzgebungsverfahren seinen (allerdings nicht wirklich krönenden) Abschluss.

Unnötige und bedenkliche Rückwirkung

Völlig unverständlich ist, dass die Neuregelungen bereits rückwirkend zum 01.07.2016 in Kraft treten sollen, nachdem der Gesetzgeber noch bis Juni 2016 stets versichert hat, dass es zu keiner Rückwirkung kommen wird. BVerfG und Finanzverwaltung (DB 2016 S. 1609) haben übereinstimmend erklärt, dass die bisherigen Regelungen auch über den 30.06.2016 hinaus in vollem Umfang weiter anwendbar sind. Darauf konnte und durfte man vertrauen. Für eine Rückwirkung bestand aufgrund der Fortgeltung des bisherigen ErbStG auch keinerlei Notwendigkeit. Gleichwohl hat der Gesetzgeber jetzt das rückwirkende Inkrafttreten angeordnet. Eine solche (echte) Rückwirkung ist bei der stichtagsbezogenen ErbSt mehr als bedenklich. Der Gesetzgeber greift damit grundlos in bereits abgeschlossene Erbfälle ein und wälzt die Folgen seiner eigenen Fristversäumnis auf die Stpfl. ab. Das BVerfG würde sich im Widerspruch zu seiner eigenen Weitergeltungsanordnung setzen, wenn es diese Rückwirkung zulässt.

Nur wenige Änderungen im Vermittlungsausschuss

Der vom Deutschen Bundestag am 24.06.2016 beschlossene Gesetzentwurf (BT-Drucks. 18/5923) wurde im Vermittlungsverfahren inhaltlich nur noch wenig geändert. Hervorzuheben ist die Einführung eines einheitlichen Kapitalisierungsfaktors bei der Unternehmensbewertung von 13,75 (ursprünglich war ein Korridor von 10,0 bis 12,5 vorgesehen), die Konkretisierung der Voraussetzungen für den Vorwegabschlag bei Familienunternehmen (u.a. Entnahme- bzw. Ausschüttungsbeschränkung auf max. 37,5% des steuerlichen Gewinns nach Abzug der Ertragsteuern) und die Beschränkung der Stundungsmöglichkeit auf sieben Jahre (zinsfrei nur für das erste Jahr, danach 6% Zinsen p.a.). Zahlreiche andere Themen blieben dagegen unverändert. Dies gilt etwa für die Neuregelungen für große Erwerbe von mehr als 26 Mio. €; sowohl bei dem Abschmelzungsmodell als auch bei der Verschonungsbedarfsprüfung kam es zu keinerlei Änderungen. Bei der Lohnsummenregelung blieb gleichfalls alles beim Alten: die Lohnsummenkontrolle beginnt erst bei mehr als fünf Beschäftigten. Im Rahmen des Verwaltungsvermögenstests wurden kleinere Anpassungen vorgenommen, wie etwa bei der Grundstücksüberlassung im Rahmen von Lieferungsverträgen, den Altersversorgungsverpflichtungen und beim Finanzmitteltest, viele strittige Fragen bleiben dagegen weiter offen (z.B. zum Schuldenabzug bei der Ermittlung der Quote von 20% bei der Vollverschonung). Dafür hatte man im Vermittlungsausschuss offensichtlich noch Zeit neben Oldtimern und Yachten auch die „Briefmarkensammlung“ des Unternehmers als schädliches Verwaltungsvermögen zu qualifizieren. Darüber sind jetzt auch „Segelflugzeuge“, nicht aber Motor- und Sportflugzeuge als Verwaltungsvermögen anzusehen.

Vereinfachtes Ertragswertverfahren

Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber das Thema der (zu hohen) Unternehmensbewertung von sich aus aufgegriffen hat – obwohl dies vom BVerfG nicht moniert worden ist. Die jetzige Bewertung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren mit einem Kapitalisierungsfaktor von 17,86 für 2016 führt in aller Regel zu weit überhöhten Werten. Die Einführung eines niedrigeren Kapitalisierungsfaktors ist daher grds. sachgerecht. Allerdings erscheint der Faktor von 13,75 einigermaßen willkürlich. Warum nicht 13,5 oder 14,0? Problematisch erscheint auch, dass der Kapitalisierungsfaktor für alle Unternehmen (gleich welcher Art, Größe und Branche) einheitlich vorgegeben ist. Das BVerfG hat im Jahr 2006 den einheitlichen Vervielfältiger für die Bewertung von bebauten Grundstücken von 12,5 (vgl. § 146 Abs. 2 BewG) als verfassungswidrig verworfen. Das BMF ist jetzt allerdings ermächtigt, den Kapitalisierungsfaktor durch Rechtsverordnung „an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen“. Die wesentlichen Entscheidungen muss der Gesetzgeber jedoch selbst treffen. Das BVerfG wird daher klären müssen, ob diese Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt ist (vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG). Angesichts des mit der Besteuerung verbundenen Grundrechtseingriffs erscheint dies mehr als fraglich. Der neue Kapitalisierungsfaktor gilt rückwirkend ab dem 01.01.2016 (und nicht erst ab 01.07.2016). Bei Erwerben, die seit dem 01.01.2016 erfolgt sind, führt dies nachträglich zu einer Erhöhung der schädlichen Verwaltungsvermögensquote. Ein solcher Eingriff ist unnötig und verfassungsrechtlich unzulässig.

Fazit

Die neuen Verschonungsregelungen sind sehr kompliziert und werden sich in der Praxis schon bald als streitanfällig erweisen. Dies wird Finanzverwaltung und Stpfl. gleichermaßen belasten. Vermutlich werden die Neuregelungen nicht lange Bestand haben – die fünfjährige Behaltefrist, die der Gesetzgeber den Unternehmenserben auferlegt, werden sie selbst wohl kaum überstehen.