DER BETRIEB
Reform der Erbschaftsteuer – Wer hat Angst vor dem Verfassungsgericht?

Reform der Erbschaftsteuer – Wer hat Angst vor dem Verfassungsgericht?

Prof. Dr. Rainer Hüttemann

Prof. Dr. Rainer Hüttemann
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Als das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2014 die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für den Übergang von Betriebsvermögen für verfassungswidrig erklärte und dem Gesetzgeber aufgab, bis Ende Juni 2016 eine Neuregelung zu treffen, war aus der Politik zu hören, man wolle diesen Zeitraum nicht unbedingt ausschöpfen. Doch es kam bekanntlich anders.

Der vom BMF vorgelegte Reformvorschlag stieß auf ein geteiltes Echo. Den einen gingen die vorgeschlagenen Änderungen am bisherigen Recht zu weit, den anderen nicht weit genug. Erst Anfang 2016 einigten sich die Koalitionsfraktionen auf einen Kompromiss, den der bayerische Ministerpräsident aber aufkündigte. Er setzte sodann so viele „Extrawürste“ für Betriebserben durch, dass die Neuregelung im Bundesrat scheitern und der Vermittlungsausschuss angerufen werden musste.

Schreiben des Bundesverfassungsgerichts

Nun hat sich Karlsruhe erneut eingeschaltet. Einer Pressemitteilung vom 14.07.2016 zufolge hat der Vorsitzende des Ersten Senats „mit Schreiben an die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat vom 12.07.2016 mitgeteilt, dass der Erste Senat sich nach der Sommerpause Ende September mit dem weiteren Vorgehen im Normenkontrollverfahren um das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz befassen wird“ (vgl. DB1210010).

Es bleibt abzuwarten, ob dieser Schritt die Akteure in Berlin beeindrucken wird.

Dagegen spricht, dass das Gericht mit seiner Pressemitteilung der Politik die größte Sorge genommen hat. Denn die Nachricht aus Karlsruhe beginnt mit der Feststellung, dass „die für verfassungswidrig erklärten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes fort[gelten]“, die Missachtung der gesetzten Frist also einstweilen folgenlos bleibt.

Diese Aussage überrascht in doppelter Hinsicht. Zum einen widerspricht sie der überwiegenden Ansicht im steuerrechtlichen Schrifttum, die den Tenor des Urteils mit guten Gründen anders versteht. Zum anderen bleibt offen, worauf diese Aussage beruht: Handelt es sich um eine unverbindliche Einschätzung der Pressestelle oder wird hier die Auffassung der Mehrheit des Ersten Senats wiedergegeben?

Schon im März 2016 hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung unwidersprochen berichtet, dass die Karlsruher Richter den 30.06.2016 nicht unbedingt als verbindliches Datum ansehen würden. Wer zulässt, dass seine eigenen Vorgaben in dieser Weise relativiert werden, darf sich nicht wundern, wenn seine Autorität leidet.

Unverständlich ist auch, warum das Schreiben des Ersten Senats der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, einzelnen Medien aber offenbar im Wortlaut vorliegt.

So zitiert es die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit den Worten, der Senat werde u.a. darüber beraten, „ob eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG angezeigt ist“. Ferner werde sich das Thema „erübrigen“, wenn bis Ende September ein „entsprechender Gesetzesbeschluss vorliegen werde“. An ein Ende der Erbschaftsteuer denkt in Karlsruhe offenbar niemand.

Unhaltbarer Schwebezustand

Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Situation schon längst eskaliert.

Die Tatsache, dass gegenwärtig niemand verbindlich sagen kann, ob und nach welchen steuerlichen Vorschriften ein Erbfall mit Betriebsvermögen nach dem 30.06.2016 zu behandeln ist, stellt allen Beteiligten – nicht nur in Berlin und München, sondern auch in Karlsruhe – ein Armutszeugnis aus.

Noch beunruhigender ist die Vorstellung, dass ein im Herbst oder später erzieltes Vermittlungsergebnis einfach „rückwirkend“ zum 01.07.2016 in Kraft gesetzt wird oder der Erste Senat im Wege einer „Vollstreckungsanordnung“ nach § 35 BVerfGG für einen Übergangszeitraum einzelne Vorschriften für unanwendbar erklärt und auf diese Weise zum Steuergesetzgeber wird.

Alle diese Unsicherheiten hätten sich vermeiden lassen, wenn der Erste Senat im Dezember 2014 einen eindeutigen Tenor erlassen hätte, wonach das bisherige Recht bis zur Neuregelung, „längstens aber bis zum 30.06.2016 anzuwenden ist“.

Immerhin hat das Gericht selbst in den Entscheidungsgründen ausdrücklich festgestellt, dass das geltende Erbschaftsteuerrecht wegen der unverhältnismäßigen Begünstigung von Betriebserben im Ganzen verfassungswidrig ist. Offenbar wollte die Mehrheit des Ersten Senats aber das Risiko, dass sich die Politik innerhalb der gesetzten Frist nicht einigen kann und die Erbschaftsteuer zum 01.07.2016 ausgelaufen wäre, nicht eingehen. Möglicherweise befürchtete man auch, mit einer definitiven Frist den Gegnern der Erbschaftsteuer in den anstehenden Beratungen einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Drei Mitglieder des Senats sahen sich sogar veranlasst, in einem Minderheitsvotum darauf hinzuweisen, dass das Sozialstaatsgebot den Gesetzgeber u.U. zur Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer verpflichten könnte.

Wenn es nun heißt, dass das für verfassungswidrig erklärte Gesetz einstweilen weitergilt, dann zeigt dies vor allem eines: Man ist sich in Karlsruhe in Hinsicht auf die Zukunft der Erbschaftsteuer nicht weniger uneins als in Berlin.