DER BETRIEB
Innovation und Wirtschaftsprüfung – ein Widerspruch?

Innovation und Wirtschaftsprüfung – ein Widerspruch?

WP/StB/CPA Dr. Rüdiger Loitz

WP/StB/CPA Dr. Rüdiger Loitz
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„Disruption“ ist das Modewort unserer Zeit – und das nicht zu Unrecht. Schließlich hat die digitale Revolution, die einst von den Technologieunternehmen des Silicon Valley ausging, in den zurückliegenden Jahren eine Industrie nach der anderen erfasst. Inzwischen sehen sich selbst tradierte Banken und Versicherer den Angriffen digitaler Herausforderer (genannt „Fintechs“) ausgesetzt und den Autobauern erwachsen plötzlich Wettbewerber namens Apple und Google.

Art und Weise der Prüfung wird sich ändern

Verglichen damit werden die Stichworte „technische Innovationen“ und „Wirtschaftsprüfung“ eher selten in Zusammenhang gebracht. Zumindest für den externen Betrachter sieht es so aus, als würden die WPs ihre Arbeit genauso erledigen wie vor 20 Jahren – und in 20 Jahren immer noch genauso. Der digitale Wandel erreicht die Wirtschaftsprüfung tatsächlich nur langsam. Während viele Technologieunternehmen aus der Not erfinderisch und innovativ waren und sind, ist die WP-Branche mit ihrem hergebrachten Ansatz immer gut gefahren. Zur Innovation fehlte schlicht die Notwendigkeit. Mit dem Einzug neuer technischer Entwicklungen erreicht der digitale Wandel nun auch „alte Dame“ Wirtschaftsprüfung.

Worum geht es im Detail: Durch die extrem hohe Verfügbarkeit von Daten steigt die Komplexität einer Prüfung. Allein der Umfang der veröffentlichten Abschlüsse nimmt seit Jahren extrem zu. So war der Abschluss eines im Londoner FTSE-Index notierten Unternehmens zur Jahrtausendwende noch 56 Seiten dick. Im Jahr 2011 waren es dagegen bereits 175 Seiten, eine Zunahme um mehr als 200%. Während der Abschlussprüfer in der Vergangenheit dazu angehalten war, nur die Dinge abzulegen bzw. aufzunehmen, die er prüft, um den Gegenstand der Prüfung zu fixieren, verwischt der Prüfungsgegenstand nun im Datenraum der „Big Data“.

Als Abschlussprüfer kann man fast ein wenig Angst bekommen, wenn man die obligatorische Vollständigkeitserklärung des Unternehmens in Empfang nimmt. Und dasselbe gilt für den Geprüften selbst – übrigens meist ja immer noch eine natürliche Person.

Hinzu kommt eine weitere Herausforderung: Im Zuge der Verzahnung von Geschäftsprozessen mit Technologiekomponenten lässt sich immer schwerer erkennen, welche IT-Systeme überhaupt rechnungslegungsrelevant sind und welche nicht. Z.B. wird durch eine Texterkennung eine Rechnung in einem Shared Service Center gelesen und anhand dieser Quelldaten automatisch in Buchungen überführt. Wenn zwischen den Systemen – und dies ist das Ziel – keine weiteren Kontrollschritte mehr vorgesehen sind, gehören die Ausgangssysteme zum Rechnungslegungssystem und daher in die Abschlussprüfung mit aufgenommen.

Dramatischer wird es mit dem Gedanken, Blockchain-orientierte Systeme im Zusammenhang mit der Abschlussprüfung zu analysieren. Unternehmen, die künftig vollständig vernetzt sind, und derartige Systeme, die eine extreme Sicherheit schaffen, sind nicht mehr aus der Welt zu denken. Der Platz und Ausgestaltung der Abschlussprüfung mit seinem Gütesiegel sind zu überdenken, da sich innerhalb dieser Systeme eine Finanzberichterstattung selbst in Frage stellt. In diesem Kontext sollte aufhorchen lassen, dass der „Roboter“ dem Menschen inzwischen nicht mehr nur im Schach überlegen ist – sondern auch im Brettspiel „Go“, bei dem der Weltklassespieler Lee Sedol jüngst überraschend dem vom Google entwickelten Programm „Alpha Go“ unterlag. Viele Fachleute sehen in dieser vermeintlichen Anekdote in Wirklichkeit einen Quantensprung.

Folgt daraus, dass eines Tages auch die Wirtschaftsprüfung von Maschinen ausgeführt wird? Diese Prognose mag noch aus heutiger Sicht gewagt erscheinen – zumal es auf dem Feld der künstlichen Intelligenz kein Schwarz oder Weiß gibt. Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass die technologische Weiterentwicklung progressiv und exponentiell voranschreitet. Insofern ist es für die Branchen höchste Zeit, sich mit den Facetten der Künstliche Intelligenz zu befassen. Künstliche Intelligenz sucht nämlich nach Anwendungsfällen, die bei der Prüfung von Unternehmensrisiken – also der maschinenlern-orientierten Dokumentanalyse – gegeben sind.

Zunehmende Regulierung als weiterer Innovationstreiber

Eine weitere Herausforderung für die Branche stellt die zunehmende Regulierung dar. Die komplexere Rechnungslegung ist dafür allerdings nicht alleine ursächlich. In der Zwischenzeit können WPs und Unternehmen ganz gut mit der Umsetzung von Rechnungslegungsänderungen umgehen. Selbiges gilt im Übrigen für die Anwendung der IFRS-Rechnungslegung, vor deren „Fair Value-Prinzip“ heutzutage weder Unternehmen noch WPs zurück schrecken. Wer trotzdem glaubt, dass sich WPs mit Planungen und Prognosen erstmals in den letzten Jahren beschäftigt haben, muss eines Besseren belehrt werden. Ein Blick unter die Motorhaube der Prüfungsberichterstattung offenbart, wie weit WP inzwischen zu Prognosen Stellung nehmen, und das nicht nur in Spezialgebieten wie der Nutzung von aktiven latenten Steuern für Verlustvorträge oder der Zinsentwicklung bei Pensionen.

Regulierer fordern weitere Transparenz. Die BEPS-Regelungen zum „Country-by-Country-Reporting“ bis hin zu den vielen neuen Regelungen in der Banken- und Versicherungswelt.

Die neuen Regelungen zwingen die Branche zu innovativen Lösungen, zur Schließung von Prozessketten und zu einer technologisch untermauerten Neudefinition der Kommunikation zwischen WP und Unternehmen. Nie war der Druck auf den Berufsstand, innovativ und gestalterisch tätig zu sein, derart groß. Unternehmen sind gefordert, innovative Ansätze von WP-Gesellschaften zuzulassen oder sie als Vorreiter sogar an der einen oder anderen Stelle auszuprobieren und dabei durchaus Fehler zu akzeptieren. An der Gestaltung dieser „innovativen“ Wirtschaftsprüfung sollten alle mitwirken.