DER BETRIEB
To see or not to see – das ist keine Frage

To see or not to see – das ist keine Frage

Prof. Dr. Andreas Oestreicher

Prof. Dr. Andreas Oestreicher
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Die Maßnahmen der OECD/G20 und der EU-Kommission zur Bekämpfung von Steuervermeidung und aggressiver Steuerplanung orientieren sich an der Zielsetzung, dass Unternehmen ihre Gewinne am Ort der Wertschöpfung versteuern sollen. Um in diesem Zusammenhang eine bessere Einhaltung der nationalen Steuervorschriften durch multinationale Unternehmen (MNE) sicherzustellen, verlangt die von den G20 unterstützte OECD/BEPS-Initiative u.a. länderspezifische (Country-by-Country („CbC“)) Informationen. Die Berichterstattung soll gegenüber den Steuerbehörden erfolgen, damit diese sich im Interesse einer Festlegung von Prüfungsschwerpunkten ein erstes Bild über Verrechnungspreisrisiken machen, andere potenzielle Gewinnverlagerungskanäle identifizieren sowie statistische und ökonomische Analysen durchführen können.

In Ergänzung dazu setzt die EU-Kommission im Rahmen ihrer Strategie für eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung auf öffentliche Transparenz bei den Ertragsteuern, um auf diese Weise die vermeintlich fehlende öffentliche Kontrolle herzustellen, Reputationseffekte zu erzielen und die demokratische Debatte zu fördern. In ihrem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundener Berichte fordert die EU-Kommission, dass MNE steuerbezogene CbC-Informationen via Unternehmensregister und die eigenen Internetseiten zugänglich machen müssen, wenn sie in Europa Geschäfte betreiben.

Bessere Einhaltung der Steuervorschriften

Die CbC-Berichterstattung soll dazu beitragen, dass die Finanzbehörden zusätzliche Informationen erhalten, die für eine risikoorientierte Prüfung der Verrechnungspreise notwendig sind. Gegen diese Zielsetzung ist nichts einzuwenden, zumal die Initiative der OECD/G20 helfen kann, dass überflüssige Doppelungen vermieden und die weltweit gestiegenen Dokumentationsanforderungen besser aufeinander abgestimmt werden. Offensichtlich hat sich dabei inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Konzern mehr ist, als die Summe seiner Gesellschaften. Da sich Integrationsvorteile auf der Basis von Marktpreisen kaum sachgerecht zuordnen lassen, bedarf es eines Profit Split oder hypothetischer Berechnungen zur Identifikation der „fairen“ Gewinnverteilung. Der Fremdvergleich setzt aber voraus, dass die Quellen dieser Integrationsvorteile im Einzelnen identifiziert werden. Eine Orientierung an den Umsatzerlösen und Arbeitskosten ist hier weder hilfreich noch systemkonform. Daneben erscheint auch die Spezifikation der CbC-Informationen wenig durchdacht.

Transparenz und öffentliche Kontrolle

Vor diesem Hintergrund ist kaum zu rechtfertigen, dass sich die EU-Kommission im Hinblick auf die möglichen Kollateralschäden für die Reputation und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dazu verleiten lässt, den Forderungen nach Transparenz bei den Steuerangelegenheiten von MNE nachzugeben, um „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fairness der Steuersysteme“ und die „sachkundige demokratische Debatte“ zu stärken. Um Nutzeneffekte für die Gesellschaft und positive Auswirkungen auf die Wirtschaft zu erzeugen, bedarf es nützlicher Informationen, wenn auch anzuerkennen ist, dass die bisherigen Publikationsstandards vor allem auch in weniger kooperativen Staaten einige Defizite mit sich bringen. Es grenzt aber an eine Bankrotterklärung, wenn die Mittel der Staaten nicht ausreichen, „schwarze Schafe“ zu identifizieren. Zudem erscheint es mehr als fragwürdig, wenn Berufskritiker mobilisiert werden sollen, damit Unternehmen von legalen Handlungen ablassen und sich so „fair“ verhalten, wie es nach dem Gefühl der „Öffentlichkeit“ richtig ist. Berufskritiker sind weder Markt noch Parlament und müssen sich für angerichtete Schäden nicht verantworten.

Besteuerung am Ort der Wertschöpfung

Die Bedenken wiegen umso mehr, als die Besteuerung des Gewinns „am Ort der Wertschöpfung“ ökonomisch nicht selbstverständlich ist. Aus volkswirtschaftlicher Sicht erfasst die Bruttowertschöpfung den Wert, der den Vorleistungen durch Bearbeitung hinzugefügt wird. Entsprechend ist Nettowertschöpfung das Einkommen der Produktionsfaktoren nach Abschreibungen, indirekten Steuern und Subventionen. Es verteilt sich auf das Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit, die Fremdkapitalzinsen, die Grundrente und das Unternehmereinkommen. Arbeitseinkommen werden, wenn man Grenzpendler außer Betracht lässt, am Tätigkeitsort besteuert. Vergleichbar steht die Besteuerung der Grundrenten dem Belegenheitsstaat zu, wenn sie in Form von Kontrakteinkommen an Vermieter oder Verpächter fließen. Im Unterschied dazu liegt für Zinsen das Besteuerungsrecht in erster Linie beim Wohnsitzstaat des Investors. Das gleiche gilt grds. für Unternehmenseinkommen. Sie werden auch bei einer Tochtergesellschaft besteuert, da KapGes. aufgrund der ihr zugewiesenen Eigenschaft einer Rechtsperson selbstständig steuerpflichtig sind. Diese juristische Eigenschaft macht sie aber weder zu Trägern der Steuerbelastung noch erscheint es aus Gründen der fiskalischen Äquivalenz gerechtfertigt, den Unternehmensgewinn zum großen Teil am Ort der Wertschöpfung zu versteuern. Letzteres gilt auch für Betriebsstätten. Zwar hat der Quellenstaat Anspruch auf Ausgleich seiner Infrastrukturleistungen, daneben sollte er die Grundrente besteuern dürfen, die nicht in Form von Kontrakteinkommen gezahlt werden. Der Quellenstaat baut aber für juristische Personen weder Schulen oder Krankenhäuser noch kommt er für ihre soziale Sicherung auf. Man mag zwar den Ort der Wertschöpfung mit Hilfe der Umsatzerlöse und Anzahl Arbeitnehmer lokalisieren können. Diese Kennzahlen zeigen aber nicht an, welcher Teil des Unternehmensgewinns unter Wahrung des Fremdvergleichs am Ort der Wertschöpfung zu versteuern ist.