DER BETRIEB
Rechtssicherheit im Insolvenzanfechtungsrecht durch Privilegierung bestimmter Gläubiger?

Rechtssicherheit im Insolvenzanfechtungsrecht durch Privilegierung bestimmter Gläubiger?

Alexander Weinland

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Der nunmehr vorliegende RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der InsO und nach dem AnfG vom 29.09.2015 (RegE) verfolgt das erklärte Ziel, den Wirtschaftsverkehr sowie Arbeitnehmer von Rechtsunsicherheiten zu entlasten, die von der derzeitigen Praxis des Insolvenzanfechtungsrechts ausgehen. Ob dies mit den vorgeschlagenen Neuregelungen erreicht werden kann, soll im Folgenden beleuchtet werden.

Inkongruenzanfechtung

Der RegE definiert abweichend von der gefestigten Rspr. des BGH eine durch Zwangsvollstreckung erwirkte Deckung (d.h. eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht) als kongruent (§ 131 Abs. 1 Satz 2 RegE). Die Regelung führt zur Privilegierung z.B. von Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern, die ihre öffentlich-rechtlichen Forderungen aufgrund von Bescheiden im Vergleich zu den auf gerichtliche Titel angewiesenen sonstigen Gläubigern effektiver vollstrecken können. Auch für diese besser gestellten Vollstreckungsgläubiger greift aber, wie die Begründung des RegE klarstellt, die Rückschlagsperre (§ 88 InsO) ein. Zudem bleibt die Kongruenzanfechtung nach dem unveränderten § 130 InsO möglich. Da diese Vorschrift im Unterschied zum weitgehend objektiv zu verstehenden § 131 InsO grundsätzlich Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eröffnungsantrag erfordert, verursacht die Neuregelung für die dadurch privilegierten Gläubiger Unwägbarkeiten in Bezug auf das Vorliegen subjektiver Merkmale.

Vorsatzanfechtung

Der im Mittelpunkt der Kritik am geltenden Recht stehende Grundtatbestand des § 133 Abs. 1 InsO bleibt lt. RegE unverändert. Entsprechendes gilt für Abs. 2, der in der Neufassung zu Abs. 4 werden soll. Die Verkürzung des Anfechtungszeitraums für die Vorsatzanfechtung einer Deckung (s.o.) von zehn auf vier Jahre vor dem Eröffnungsantrag (§ 133 Abs. 2 RegE) stellt eine hinnehmbare Beschränkung dar, weil in der Praxis solche anfechtbaren Rechtshandlungen selten länger zurückliegen. Für alle übrigen Rechtshandlungen bleibt die Zehnjahresfrist mit Recht erhalten. Bei kongruenten Deckungen sieht § 133 Abs. 3 Satz 1 RegE die Vorsatzanfechtung abweichend von § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nur noch dann vor, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners eingetreten war, also nicht nur drohte. Diese materiell-rechtliche Privilegierung wird voraussichtlich dazu führen, dass der Insolvenzverwalter im Prozess mit Hilfe von Indizien nachzuweisen versuchen wird, dass der Anfechtungsgegner nicht nur von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgegangen ist, sondern die eingetretene Zahlungsunfähigkeit erkannt hat. Die Vermutung, dass der Gläubiger, der mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt hat, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zur Zeit der Handlung nicht kannte (§ 133 Abs. 3 Satz 2 RegE), geht regelungstechnisch über das Ziel hinaus. Nachvollziehbar wäre es, einer solchen Vereinbarung oder Erleichterung die indizielle Bedeutung für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz abzusprechen. Stattdessen wird an diese Umstände die Vermutung der Unkenntnis des Anfechtungsgegners geknüpft, was außer in den Fällen der Überbrückung eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses nicht zu rechtfertigen ist. Die Anforderungen an die Widerlegung dieser eigentümlichen Vermutung wird die Rspr. herauszuarbeiten haben.

Bargeschäftsprivileg

Eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, soll nur anfechtbar sein, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 bis 3 RegE gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte (§ 142 Abs. 1 RegE). Freilich ist das Element der Unlauterkeit von der Rspr. zu § 133 Abs. 1 InsO längst aufgegeben. Immerhin begrenzt das unveränderte Erfordernis der Unmittelbarkeit den privilegierten Leistungsaustausch auf einen Zeitraum von höchstens 30 Tagen. Allein für das Arbeitsentgelt der Arbeitnehmer des Schuldners erweitert § 142 Abs. 2 Satz 4 RegE den engen zeitlichen Zusammenhang auf drei Monate. I.Ü. müssten Gläubiger zur Wahrung des erforderlichen Zusammenhangs weiterhin auf die Tilgung der aktuellen und nicht der Altverbindlichkeiten hinwirken.

Fazit

Ein höheres Maß an Rechtssicherheit ist im Anfechtungsrecht allenfalls durch eine generelle Einschränkung subjektiver Elemente (auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit) oder eine Verkürzung von Fristen (auf Kosten der Masse) zu erreichen. Durch die geplante Privilegierung bestimmter Gläubiger wird im Rahmen der §§ 130, 133 InsO die sorgfältige Dokumentation und Darstellung subjektiver Merkmale weiter an Bedeutung gewinnen. Damit sind für die Betroffenen erhebliche Rechtsrisiken verbunden, weil das Ergebnis der im Streitfall vom Tatrichter vorzunehmenden Würdigung aller Umstände selten eindeutig vorhergesagt werden kann. Die Beteiligten werden auch und gerade im Rahmen der geplanten Änderung bei der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen zu einem potenziellen Insolvenzschuldner und bei Fragen der Rechtsverfolgung oder -verteidigung auf hochspezialisierte Berater angewiesen sein.