DER BETRIEB
Ende der Gesamtplanrechtsprechung?

Ende der Gesamtplanrechtsprechung?

Die Finanzverwaltung verwendet seit Jahren den „steuerschädlichen Gesamtplan“ neben § 42 AO als Abwehrinstrument vor unliebsamen Gestaltungen. Stets geht es um die Ergründung des wirklichen wirtschaftlichen Gehalts (= substance over form) rechtlich getrennter, aber zeitlich und sachlich ineinandergreifender Rechtsgeschäfte, durch die ein Stpfl. zweckwidrige steuergünstige Effekte erreichen will. Unter Bezugnahme auf die Gesamtplanrechtsprechung des BFH verhängt die Finanzverwaltung ein Missbrauchsverdikt. Mit der weltweit bekämpften „aggressiven Steuerplanung“ internationaler Couleur hat dies nichts zu tun.

Gestaltungshindernis bei Umstrukturierungen

Der verwaltungsseitige Gesamtplan schafft vor allem in Umstrukturierungsfällen große Rechtsunsicherheit. Wichtige Beispiele sind: Rdn. 19 des BMF-Schreibens vom 8. 12. 2011 (DB0463441) verlangt eine „Gesamtplanüberprüfung“ von zeitlich und sachlich zusammenhängenden Buchwerttransaktionen zwischen Schwester-Mitunternehmerschaften. Rdn. 20.07 UmwSt-Erlass 2011 (DB0464115) greift „Vorabübertragungen“ funktional wesentlicher Betriebsgrundlagen bei buchwertverknüpften Einbringungen von Betrieben, Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen in eine KapGes. gem. § 20 UmwStG auf. Entsprechendes gilt für Einbringungsfälle gem. § 24 UmwStG, Sondertransaktionen mit funktional wesentlichem Sonder-BV bei vorweggenommener Erbfolge (§ 6 Abs. 3 EStG; BMF-Schreiben vom 3. 3. 2005, DB0108603, Rdn. 7) oder Realteilungsfälle (§ 16 Abs. 3 EStG). Um den Gesamtplantest zu bestehen, dokumentiert der Stpfl. sein drittübliches Verhalten, entzerrt Transaktionen sachlich sowie zeitlich und bemüht sich schließlich um gestaltungsabsichernde verbindliche Auskünfte.

Distanzierung zum Gesamtplan in der Rspr.

Als „Geburtsstunde“ der Rechtsfigur des Gesamtplans lässt sich (vereinfacht) das BFH-Urteil vom 6. 9. 2000 (IV R 18/99, BStBl. II 2001 S. 229 = DB 2000 S. 2459) ausmachen. Die Tarifvergünstigung für eine Mitunternehmeranteilsveräußerung gem. §§ 16, 34 EStG kommt danach nicht zur Anwendung, wenn aufgrund einheitlicher Planung und in engem zeitlichem Zusammenhang wesentliche Betriebsgrundlagen der PersGes. vorab zu Buchwerten auf Schwestergesellschaften transferiert wurden. Es fehlt an einer für die Progressionsbegünstigung zweckessenziellen zusammengeballten Realisierung mehrjährig gebildeter stiller Reserven. In der Folge wurde die Gesamtplan-Rspr. durch Judikatur auf unterschiedlichste Anwendungsbereiche ausgedehnt; die Finanzverwaltung hat die Gesamtplanüberlegungen zu einem eigenständigen Missbrauchsabwehrinstrument weiterentwickelt. Aktuell ist nun eine deutliche Distanzierung der Rspr. mehrerer BFH-Senate zum Gesamtplan wegen seiner fehlenden gesetzlichen Grundlagen zu erkennen (Ausnahme: § 32d Abs. 2 Buchst. c EStG für Abgeltungsteuerzwecke). Hervorzuheben ist das BFH-Judikat vom 9. 11. 2011 (X R 60/09, BStBl. II 2012 S. 638 = DB 2012 S. 779), wo die buchwertverknüpfte Einbringung eines Einzelunternehmers in eine PersGes gem. § 24 UmwStG trotz vorheriger „gesamtgeplanter“ und auf Dauer angelegter Veräußerung einer wesentlichen Betriebsgrundlage anerkannt wird. Der IV. Senat des BFH schränkt den Gesamtplan weiter in seinem Grundlagenurteil vom 2. 8. 2012 (IV R 41/11, DB0526874) ein und lässt die zeitgleiche Buchwertübertragung von funktional wesentlichem Sonder-BV gem. § 6 Abs. 5 EStG bei Schenkung und Erbfolge an einem Mitunternehmeranteil (§ 6 Abs. 3 EStG, sog. Ausgliederungsmodell) zu. Nur bei tarifbegünstigten Veräußerungsvorgängen (§§ 16, 34 EStG) hält der IV. Senat offenbar an seiner Gesamtplan-Rspr. bei zeitlich und sachlich vorbereitenden Buchwerttransaktionen fest und verweist auf Tatsachen und Beweiswürdigung durch das FG (BFH-Urteil vom 30. 8. 2012 – IV R 44/10).

Ende des Gesamtplans ist „eingeläutet“

Auf Dauer angelegte „Vorfeldmaßnahmen“ einer Umstrukturierung – egal ob zeitgleich, gewinnrealisierend oder zu Buchwerten – hindern bei Einbringungsfällen gem. §§ 20, 24 UmwStG, vorweggenommener Erbfolge und auch Realteilungsmaßnahmen die gesetzlich zugelassene Buchwertverknüpfungsmöglichkeit nicht. Dies sollte auch für mitunternehmerbezogene Einzelübertragungen gelten. Insoweit ist für einen „steuerschädlichen Gesamtplan“ wegen faktischer Beendigung der Gesamtplan-Rspr. kein Raum mehr. Die Finanzverwaltung sollte die einschlägigen Erlasse schnellstmöglich „offiziell“ korrigieren. Nur bei vorgeschobenen, alsbald wieder rückgängig gemachten Transaktionen (so BFH-Urteil vom 25. 11. 2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010 S. 471 = DB0346473) oder nicht eigenständig wirtschaftlich begründbaren Teilschritten ist Missbrauchsabwehr vonnöten, die aber ausschließlich auf der Rechtsgrundlage des § 42 AO geltend gemacht werden kann. Für tarifermäßigte Veräußerungsvorgänge reicht eine teleologische Auslegung der §§ 16, 34 EStG. Als Konsequenz sollte die Rechtsfigur des Gesamtplans insgesamt aufgegeben werden. Allein der Gesetzgeber wäre für eine „konkretisierende Kodifikation“ von Gesamtplanmissbräuchen mit Wirkung für die Zukunft zuständig.

WP/StB Prof. Dr. Ulrich Prinz, Köln