DER BETRIEB
Was lange währt wird endlich gut? – Steuerfreiheit von Streubesitzdividenden

Was lange währt wird endlich gut? – Steuerfreiheit von Streubesitzdividenden

Die unionsrechtliche Problematik der Erhebung von Kapitalertragsteuer auf die Ausschüttung von Streubesitzdividenden ins EU-/EWR-Ausland ist seit dem Denkavit-Urteil des EuGH aus dem Jahre 2006 (Rs. C-170/05, EuGHE 2006 S. I-11949) bekannt. Spätestens mit dem EuGH-Urteil vom 20. 10. 2011 in der Rs. C-284/09 (Kommission gegen Deutschland, DB0461388), hat sich der Verdacht, dass die deutsche Besteuerung von Outbound-Streubesitzdividenden gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt, zur Gewissheit verdichtet. Bereits vor Erlass des EuGH-Urteils vom 20. 10. 2011 hatten tausende von beschränkt steuerpflichtigen Dividendenempfängern Anträge auf Erstattung der KapESt gestellt. Diese Anträge sind bisher unbearbeitet geblieben, nicht zuletzt wegen der ungeklärten Frage, welche Behörde für die Bearbeitung dieser Anträge zuständig ist (vgl. bereits Linn, IStR 2010 S. 275).

Nun hat die Regierungskoalition endlich die längst fällige Konsequenz aus der Rspr. des EuGH gezogen und einen Gesetzesentwurf (BT-Drucks. 17/11314 vom 6. 11. 2012, DB0556450) vorgelegt, der ausweislich der Überschrift der „Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. 10. 2011“ dient.

Dass der Begriff „Umsetzung“ bei einem Urteil des Gerichtshofs, das die unmittelbare Anwendung unionsrechtlichen Primärrechts betrifft, fehl am Platz ist, wäre nur eine Randbemerkung, würde die Vermischung von Sekundär- und Primärrecht sich nicht wie ein roter Faden durch den Gesetzesentwurf ziehen. Das wird u. a. deutlich bei der Definition des persönlichen Anwendungsbereichs des neuen § 32 Abs. 5 Nr. 2 KStG, die auf die der Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie dienende Vorschrift des § 43b Abs. 2 EStG abstellt.

Problematisch ist auch das Erfordernis in Nr. 1c) der Entwurf-Vorschrift, wonach der Dividendenempfänger einer „mit § 1 KStG vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt“, ohne von dieser befreit zu sein. Letzteres Erfordernis ergibt sich zwar aus Art. 2 Lit. a) iii) der Mutter-Tochter-Richtlinie, ist für die Frage eines Primärrechtsverstoßes der deutschen Quellensteuererhebung nach Maßgabe der EuGH-Rspr. (Urteil vom 18. 6. 2009 – Rs. C-303/07, Aberdeen, DB 2009 S. 1685) nicht relevant.

Auch die Beschränkung auf Fälle des § 8b Abs. 1 KStG ist zu eng, da damit z. B. ausländische Pensionsfonds oder Lebens- und Krankenversicherungen ausgeschlossen sind. Da die Kommission aus unerfindlichen Gründen die Kosten der Rückstellungen für Rentenverpflichtungen nicht zum Gegenstand der Klage gemacht hat, kann aus der Abweisung der Vertragsverletzungsklage der Kommission im Verfahren C-600/10 (EuGH-Urteil vom 22. 11. 2012) nicht der falsche Schluss gezogen werden, damit sei die Unionsrechtskonformität der steuerlichen Behandlung ausländischer Pensionsfonds bestätigt worden, wie das Urteil gegen Finnland zeigt (EuGH-Urteil vom 8. 11. 2012 – Rs. C-342/10).

Mit den Vorgaben der EuGH-Rspr. zur Auslegung der Grundfreiheiten und hier speziell mit dem vom EuGH entwickelten Missbrauchs-Begriff nicht vereinbar ist die Bezugnahme in § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 KStG-E auf § 50d Abs. 3 EStG. Selbst wenn die dort geregelten Fälle gemessen an der weiten Missbrauchsregelung des Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-Richtlinie noch als unproblematisch erscheinen würden (was weiterhin bezweifelt werden darf), werden sie den vom EuGH aufgestellten Anforderungen an den Nachweis eines konkreten Missbrauchsfalles nicht gerecht.

Hauptkritikpunkt der geplanten Gesetzesregelung ist jedoch die Festschreibung einer Zuständigkeitsregelung, die sowohl unter dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz, als auch unter dem Aspekt des Verwaltungsaufwandes problematisch ist. Obwohl andere EU-Staaten, wie z. B. Österreich, eine zentrale Zuständigkeit für Erlassanträge beschränkt körperschaftsteuerpflichtiger Dividendenempfänger gesetzlich vorgesehen haben, wird in § 32 Abs. 5 Satz 6 KStG-E die Zuständigkeit für die Erstattungsverfahren weiterhin nach den allgemeinen Grundsätzen ermittelt. Danach ist das FA i. S. des § 20 Abs. 3 AO zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen des Stpfl. befindet; wenn dies auf mehrere FA zutrifft, ist das FA zuständig, in dessen Bezirk sich der wertvollste Teil des Vermögens befindet.

Der Missstand, dass derzeit bereits tausende von Erstattungsanträgen gerade deshalb unbearbeitet bei den FA liegen, weil die Zuständigkeitsfrage nach den allgemeinen Grundsätzen ungeklärt – und oft auch unklärbar – ist, kann der Regierungskoalition bei Abfassung ihres Gesetzesentwurfs nicht verborgen gewesen sein. Den mit den Anträgen befassten FA gibt die geplante Neuregelung Steine statt Brot. Die Fortschreibung einer unklaren Regelung schafft keinen Gewinn an Klarheit. Betroffene Dividendenempfänger haben in der Vergangenheit, um sicherzugehen, parallele Anträge bei allen in Betracht kommenden FA gestellt. Das wird auch so bleiben, wenn der Entwurf Gesetz wird. Die einzige nachvollziehbare Überlegung, die gegen die gesetzliche Anordnung einer zentralen Zuständigkeit spricht, ist das fiskalisch motivierte Bestreben, die Durchsetzung der unionsrechtlich begründeten Erstattungsansprüche so kompliziert und mühsam wie möglich zu gestalten.

Dennoch weist der Gesetzesentwurf in die richtige Richtung. Eine Erstattungsregelung ist zumindest für die Vergangenheit alternativlos und eine von der Opposition geforderte zukünftige Steuerpflicht von Streubesitzdividenden wäre steuersystematisch und ordnungspolitisch höchst fragwürdig. Zu wünschen bleibt, dass auf weitere verfahrensrechtliche Nebelkerzen, die zwangsläufig von den Gerichten als solche erkannt werden und weitere Vorlagen an den EuGH nach sich ziehen würden, im weiteren Gesetzgebungsverfahren verzichtet wird und die Zuständigkeit sinnvollerweise dem BZSt zugewiesen wird.

Prof. Dr. Otmar Thömmes, Deloitte München